Heimatverkauf

Heimatverkauf
Novelle
Dieter Emil Baumert

2. Maisenhardt-Joggele

Deutsche Erstausgabe 2013 als eBook
© Baumert Verlag
Grenzach-Wyhlen
San Pietro in Bevagna
New York

Umschlag nach einem Motiv von Jochen Schmidt, Bad Säckingen

"Heimatverkauf"
Novelle
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"ICH HABE HEUTE MEINE HEIMAT VERKAUFT." Diesen bedeutungsschweren Satz seines Bruders hatte Tino Manfredi im Gepäck, als er in das kleine Crossflair-Flugzeug der Schweizer Luftfahrtgesellschaft Smiss in Basel-Mulhouse-Freiburg stieg. Die alte, braune Reisetasche, ein 40-Mark-Erwerb aus Marrakesch, die ihn seit Jahren auf seinen Flugreisen begleitete, hatte letztes Jahr einen neuen, hochwertigen Reisverschluss vom Lörracher Schuster März erhalten, der hatte für den Reisverschluss und sein Einnähen mehr verlangt, als die Tasche gekostet hatte. Aber er hatte sie lieb gewonnen, sie beschränkte auf natürliche Weise sein Gepäck auf magische sieben Kilo. Dies war das Idealgewicht, leicht genug, um sie überall hin mitzunehmen, sie selbst tragen zu können. Sie passte mit ihren 30 x 30 x 65 Zentimetern auch gut in die Gepäckklappen der kleinen Regionalflieger, wie der Saab 2000 der Crossflair.

So beginnt die Novelle.

Dieter bat mich um ein Vorwort, ich sagte zu, doch da fiel mir ein, dass ich dazu eigentlich das Buch vorher lesen sollte. Lesen. Dabei gehöre ich zu den Ignoranten, die lieber selbst schreiben als das Zeug anderer zu lesen. Das Problem erledigte sich aber, weil ich auch alles nach Fehlern durchsuchen sollte. Na, denn.

Mein erster Eindruck, ach, wieder so ein modernes Werk, bei dem man nicht weiß, worum es überhaupt geht. Tino Manfredi, ein alter Sack wie ich, verkauft seine Heimat, kehrt aus der Ferne zurück, um Verträge zu unterzeichnen, und öfter als es einem lieb sein kann, kehrt er zu Krankenbesuchen und Beerdigungen zurück. Und sehr viel kehrt er in seinen Gedanken zurück, zum Grundstück, zur Straße, zur Kleinstadt seiner Jugend und in seine erste Wahlheimat Lörrach. Tino war immer ein ‚Politico’, und ich selbst schrieb über meine frühe Erinnerung an ihn: „Er war der langhaarigste und kommunistischste junge Mann in unserer Kleinstadt.“

Lesen. Erst dachte ich, was geht’s mich an? Aber das kann man von jedem Buch sagen. Dann drangen die Menschen darin ganz subtil in mich ein, so spontan und fast impressionistisch sie gezeichnet sind. Nie gekannte Arbeitskollegen, Mädchen, Frauen, die ganze Verwandtschaft, Jugendfreunde. Unsere Wege hatten sich in der Jugendzeit gekreuzt. Dieter ist zwei, drei Jahre älter, und das ist viel. Ich bewunderte diese wunderbaren Gammlertypen, die unser Jugendzentrum führten. Manche konnte saufen wie Maschinen, spielten in Rockbands, andere hatten die schärfsten Freundinnen oder wie Dieter den politischen Durchblick.
In diesem kleinen Buch nun erfahren wir, was er sonst noch getan hat, von seinen Lörracher Jahren, vom Arbeiten, von späteren Freunden, von seinem großen Bruder, den Eltern, der Schwester, auch von Träumen und Enttäuschungen.
Ich habe Dieter meist recht distanziert gesehen, mehr die Gegensätze als das Gemeinsame betont. Und er hat auch eine Eigenschaft, die das fördert: Er spricht unverschämt leise! Das hat er bis heute, wie ich bei seinem letzten Besuch hier feststellen konnte. Leisesprecher wollen, dass man ihnen genau zuhört. Querköpfe wie ich wollen nicht geführt werden.
Hier aber, in diesem Buch, spricht mich ein anderer Dieter an: Ein Mensch, der mitfühlt, mitleidet, der den anderen Menschen mit so etwas wie Liebe begegnet – und vielleicht nicht ganz verstehen kann, warum die meisten anderen nicht so sind. Als mir das auffiel, rührte es mich sehr.

Und deswegen möchte ich das Buch jedem empfehlen, der wissen möchte, wie wir alten Säcke so ticken.

Kann man seine Heimat verkaufen? Warum nicht. Wenn man eine neue findet. Man verrät sie nicht, aber es ist ja gar keiner mehr da, der sie einst ausmachte. Glücklich, wer nochmal eine neue findet.

Marco Schwarz, Wallbach, 25. Mai 2013