Weitere Infos:

„Vergegenwärtigen heißt in die Gegenwart bringen.

Wir sind zusammengekommen, um der Deportation der Lörracher Juden vor 60 Jahren zu gedenken. Am 22. Oktober 1940 wurden alle noch in Lörrach lebenden Juden, ungefähr 50, von einer ursprünglich 200 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde, an diesem Ort vor der Alten Handelsschule zusammengetrieben und in die dort bereit stehenden LKWs verladen. Sie mussten sich in Listen eintragen und durften nicht mehr als 50 kg Gepäck mitnehmen.

Zwei Jahre zuvor, in der Reichspogromnacht am 09. November 1938 wurde am gleichen Ort von der SA die Synagoge zerstört. Seither fehlt in Lörrach ein jüdisches Gotteshaus.

Wir müssen den Mut der neuen jüdischen Gemeinde bewundern, die vor fünf Jahren einen Neuanfang gewagt hat und in Deutschland an Flüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion, die in der jüdischen Religion erzogen noch die deutsche Sprache sprechen, eine bewundernswerte Integrations- leistung vollbringt. Ihnen gegenüber haben wir die Verpflichtung, Sicherheit zu gewähren.

Im Jahre 1936 hatten sich Gauleiter Robert Wagner, nachdem der
Marktplatz damals offiziell benannt war, und Julius Stürmer, der Herausgeber der antisemitischen Hetzschrift „Der Stürmer“, in das Goldene Buch der Stadt Lörrach eingetragen: „Ohne die Lösung der Judenfrage keine Endlösung des deutschen Volkes“. Der Badische Gauleiter Wagner hatte den Ehrgeiz, Baden als ersten deutschen Gau „judenrein“ zu machen.

Der Begriff „Endlösung“ ist seither als Unwort in die deutsche Sprache eingegangen. Er bedeutet auch die Ermordung von mindestens 49 Juden aus Lörrach. Mit Abscheu hören wir Zeitzeugen- berichte über die damaligen Geschehnisse. In der Tat fehlt uns die Vorstellungskraft.

Aber wir müssen uns bewusst machen: Lörrach war auch Tatort!„

Lörrachs Oberbür- germeisterin Gudrun Heute-Blum, Rede zum Jahrestag der Deportation der Lörracher Juden.

Informationen zur Synagoge in Lörrach sind zu finden unter
Synagoge Lörrach

Ausstellung Reichspogromnacht Lörrach

3. Ausstellung zur Reichspogromnacht in Lörrach

(fehlt leider noch)

4. Ergänzendes Material

Sulamiths flammende Tore
Und Rebeccas fließende Stimme

Dr.Konrad Kärn
79822 Neustadt

Hymnisches Oratorium in vier fragmentarischen Gesängen und vier Chören
-35 Jahre Geschichte der Freiburger Synagoge 1938-2003-

I.Gesang: Auftakt, Kaddish Abraham Kuflik

Du weist mit dem silbernern Zeiger,
der ehrfürchtig zeigenden Hand, die Zeilen der Thora,
du singst sie mit ausgebreiteten Armen,
dein schöner Tenor, die vollmundige
Lobpreisung Gottes, und mit ihm im Bund ist das Volk.
Du lehrst. Du hast den Gebetsriemen um die Arme geschlungen,
die Mesusah, das Glaubensbekenntnis, am Haus.
gelockt die orthodox-geringelten Schläfen,
bist Freiburger Kantor und Lehrer der Juden.

Aber du tötest die Tiere zum Mahl
auch mit sicherem Schnitt.
BSE-frei läuft ihr Blut in die Leere.
‚Schächter‘ nennen sie sie dich, „Parasit“ 
der „Alemanne“. Niemals sagten andre
"muettersprochliche" von jenen ‚Alemannen‘
sich los.
Dabei sind die jiddische Sproch und Alemannisch
Geheime Geschwister.
So wirst du einer der ersten, ich nenne dich,
im Kaddish, mit deinem Namen, mit deinem Namen wirst du
von mir auf gerufen
Abraham Kuflik,
Schächter, Lehrer und Kantor
der Freiburger Gemeinde der Juden
‚abgegangen‘ mit dem
„fahrplanmäßigen Eilzug 13.40, am 28.10.10. 38 von Freiburg 
nach Frankfurt“, 
von Heidelberg aber weiter nach Osten
‚verschubt‘.
Lange habt ihr an Grenzen gewartet.
„Wir nehmen sie nicht“, sagten Menschen aus Polen.
Mit Peitschen schlugen andre den Vater.
Er war ein kriegsgefangener Deutscher.
Ich habe auf dem Rücken
die Spuren gesehen.
Ich vergebe euch
in seinem Namen.
Vergebt ihr uns auch?

Ihnen boten die armen Dörfer dort Obdach,
dennoch fanden die Balkenkreuze euch auf,
Abraham und alle andren.
Celan liegt mit euch eng, ganz nah, in den Lüften,
von der Seine aus
aufgestiegen zu euch.

 

I. Chor
Friburger Kaddish I

Niemols nie hen mir uns losgseit vun sellem Burte, vun sellem Seildänzer midd de g´lungne Madlee-G´dicht am Rhii, danzt hedd er uf de Nazi-Disch,
un unsri Schbrooch an si verroode. 
Niemols nie
Hen mir die nach Gurs Doddebordierde bedichded,.
Au ihr nidd , Oberlinks-Hindrivirschi-‚Dichter‘ vu Links- Pseudo un ‚Modern Mundart‘.
Nit s‘ g´ringschd wärt
Im Dichte
Sin si eich gsi.
Niemols nie isch ä Mandel uf de Ochsebrick
Na´glegt worre.
Nix hen mir zum azeige
Wo de Sohn vun Rabbi abbliebe isch,
Do wisse mir nix.
Ä rabulischdischs Schild:
Uf Gurs… mehr denn duusig Kilomeder.
Wer soll jetz dert na fahre?
Ich aber geb‘ euch die Stimme:
Uleachaja Metaja, uleasaka jaheton le Chajej Alma :
„Er belebt die Toten
Und führt sie empor zu
Ewigem Leben,
ulemiwnej Karta di – Jeruschelejem „,
das heißt für die Palästinenser Al Kudz.
Al Kudz, und die Kirchen der Christen. 
Auch für sie
beten wir mit.
Zu dir,
Hebels heilig Jeruschalahim, :
"Un witer obe seig e schöni Stadt?“ 
Etwa die mit dem weiten Grab in den Lüften?
Für die Kinder Jisraels und die Kinder der Palästinenser?
Wann
Wird ihnen ein gemeinsames
Land?

  

II. Gesang: Prolog am Münster/
Ecclesia und Synagog´

Im früehje Middelalder henn ihr die Friburger Jude scho brennt.
Un die Kinder sin uf die chrischtlich Familie kumme,
lebe dien si bis hit
ohni Name
in derre Schtadt
unter uns.
In der Vorhalle des Freiburgers Münsters
neben dem krötenrückigen, von vorne nur schönen „Herren der Welt“
habt ihr „Ecclesia“ und „Synagoge“
einander gegenübergestellt.
Die siegreiche Kirch‘, in der Hand
das Blut Christi,
und, im Triumph,
die Fahne des Kreuzes.
Mehrfach gebrochen dagegen
die Lanze der der Synagog´,
Mosches G´setzdafle sin g´senkt,
blind isch si g´macht,
blind seig si gsi,
hätt´ni gseh
de Messias
wo iiber si kumme isch.
Warum entfernt ihr nicht
Nach Jahrhunderten Schmach
Diese Figuren im Münster?
Stellt sie auf im Museum
Mit erklärendem Text?
Der Messias, sagt das Volk Jisraels
Kommt noch.

Den Boden für weitres
Bereiteten die Figuren.
In ihrem stillen, steinernen Grund.
Jetzt aber schreien die Steine,
Haben geschrieen, geraucht,
Sind in Flammen gesprungen.
So also gebt ihnen den
Alten Raum neu
Und anders.

  

3. Gesang: Anbranden der Woge

‚Sarah‘ müssen wir heißen
oder ‚Israel‘
Seit dem 1.10.38.
Gift liegt in Augen, Zungen und Mündern,
Bald nimmt der Wahn Zugriff
Der „J-Stempel“ im Pass.
Sie beschränken Berufe
Erhöhen die Steuern
Brandmarken, kennzeichnen 
Ein geschüchtert sollen wir werden.
Das Kaufhaus ‚Modern‘ schließt.
Max Mayer verkauft
Als einer der wenigen
Fair, aber gezwungen.
Andere verlieren schon alles.
Wer hat sich daran alles bereichert
In dieser friedlichen Stadt?
Stumm sieht der Posaunenengel
Auf alle herab, Schinder
Und jetzt schon Geschundne.
Einst wird er auf pilzigen Rauch
Wesien,
Unschuldige sterben auch hier.
Gott, wo bist du gerecht?
Bald wird des Rabbis Sohn
Mit dem der Vater gespielt,
Unauffindbar.
Wo ist er geblieben?
In Madagaskar würden sie ‚angesiedelt‘,
so sagten sie ihm.
Auf die aus der Heimat Getriebnen
Aber wartet die Hölle von
Gurs,
Und auch der Spielfreund wird
In Russland ein TodesLager
Er leben.

  

II. Chor: Chor der Deportierten

Deportieren heißt: Aus den Türen und Häusern, den Eintrittspforten der Menschen verschleppen, irgendwohin.
Den Ort, das Recht
Hier zu leben
Nehmen sie uns,
Auf Alemannisch:
E Heimet.
Bürger des Landes sind wir,
Wie sie,
Haben für es auch gekämpft
Unter eisernen Kreuzen
Und Eichen.
Diesen Platz, dieses Land
Aber weigern sie uns.
Hinter uns bleibt heimatlich´Land,
Wohnung. Leben, das,
Wo wir bei uns und 
Den andren, bedrückt schon,
An Wesend sind.
Aber immer noch im Gefühl,
Es sei unseres auch.
In die Prügelbaracken von Dachau
In die Schlammwüste von Gurs
In die Totenkammern von Auschwitz
Verschleppt, entortet, de partir
Ins Nichts.
Aber auch dort noch werden
Gebete gesprochen.
So seht nun uns.
Hättet ihr euch, hättest du dich dich gewehrt
Für uns, statt schweigend zusammenzustehn,
Eine Straße in Deutschland tat´s, in Berlin,
Wir wären geblieben, nicht gewagt hätten die Wen´gen,
Uns in die ‚planmäßigen‘ Züge zu pferchen,
Später jene für Vieh.
Sie wären zurückgeschreckt
Vor euch.
Weshalb tatet ihr nichts?
Der Tod ist ein Meister
Des Geschehenlassens aus Deutschland.

  

4. Gesang: Freiburg, 10. 9.1938

Der böse Hinkelfuß-Zwerg aus Berlin
gab die Parole
schlicht übers Tele-Phon:
„Verbrennt die Gotteshäuser der Juden
Im Reich.“
So brennt auch am Werderring das Haus Adonais.
In der dunklen Nacht
Zwischen drei und vier
Legen der Standarterführer Gunst
Und der SA-Brigadier Weist, auch diese Namen seien genannt,
Feuer.
Im Keller sucht die Gestapo
„Dokumente“,
fast wären sie nicht entkommen.
Andere Kripos ermittelten eifrig,
wollten die Feuerwehr zum Löschen
anhalten,
und der Oberstaatsanwalt Weiss
wir am rest-rechtstaatlich
erhobenen Ermitteln
gehindert.
Der Rabbiner Dr. Siegfried Scheuermann
Der Vorsteher der Synagoge
David Ziegler
Sie werden aus den Betten geholt,
den Brand zu sehen und
zu leiden.
Schweigend ziehen
Die Freiburger SA-Stürme
An den lodernden Funken
Vorbei.
Gewalttäter schänden den Friedhof der Juden
Ich besuchte ihn oft
An der Elsässerstraße.
Scheiben splitterten,
Geschäfte brachen sie auf
und raubten.
Der Freiburger Gefängnisdirektor sieht am Abend des 10.9.
Die aus brennende Stätte.

  

3. Chor:
Die sehen und nichts sagen

Hunderte umstanden
Die Reste
Des Hauses Gottes
Schweigend.
Doch keiner erhob
Irgendein
Wort.
Niemand versuchte
Die Juden
Zu schützen.
137 Juden sind deportiert
nach Dachau.
Max Mayer
sieht die Menge der 
Schweigenden
Vor dem Freiburger Bahnhof.
„In tiefem Schweigen
Eine
Stille Kritik.“

„Schwesterlich
Hätte die Kirche
Neben der Synagoge
Erscheinen
Müssen.
Entscheidend ist:
Dies geschah nicht.
Aber
Was tat ich selbst?
Von Bränden,
Plünderungen,
Greueln
Hört´ich.
Verschloss mich
Im Zimmer,
zu feige,
Mich dem Geschehen 
Zu stellen
und etwas zu sagen.“ 
Reinhold Schneider,
der größte der 
Freiburger Dichter,
sagte es so.
„Eigentlich
habe ich 
nichts
gesehen“.

  

5. Gesang: Gurs

Tausend und mehr Tausendmeter
Weit auf die Wüste am Berg,
eine Hölle, Schlamm,
Typhus, Hunger und Seuchen.
Alte, Kinder, irre Gewordne.
Doch noch hier töten fern
Abgesandte Schreibspeere,
Pfeile aus
Köchern leiser Befehle,
lenken weiter Kolonnen
nach Auschwitz und Birkenau.
Dort werden die erst Ent-Fernten
Noch aus gemordet aus den
Überlebenden.
Lied von Gurs, wie es heißt:
„In den Bass-Pyrenäen gibt´s einen Ort,
dort stehen Baracken, aber kein Baum steht dort,
in dieses Lager muß der hinein,
der kein Recht hat, Mensch zu sein.“ 
Mammele, bet´sch fir si
Im Kaddish, Jiddish, im Alemmanisch 
Si Schweschder 
Oseh Schalom bi Meromaw
Hu jaesch Schalom alejnu weal-kal Jisrael:
Der Frieden schafft in Jisrael
Seinen Höhen,
er schaffe Friede 
unter uns
und über ganz Israel
weimeru Amen
Und sprecht: Amejn

  

4. Chor: Engelstraße, Vergebung?

„Siehe, ich mache ein Ende mit
Deinen Peinigern.
In jener Zeit rett´ich …
und sammle,
was verirrt ist,
ich bringe sie wieder zu Ehren
und Namen in dem 
ganzen Lande
wenn ich
ihr Schicksal wende.“

Dass sie mit den andren
Die Häuser
Schließlich einst 
teilen.

So seht nun Frau Rivka, Rebecca,
mit weit ausgebreiteten Armen,
in fröhlichem Anklang zu Jiddisch 
spricht sie von Purim,
wo sich die Kinder Israels
lustig machen
über einen frühen Verderber.
Erklärt uns Fest, Ritus, Gesang,
In der Woche
Der Brüderlichkeit
(besser wollt sie es hören
auch von
möglichen Schwestern.)
Es sind nicht einmal
sieben Tage
Vor einem großen Krieg.
In großem Glanz
Geht eine Stadt auf in farbschillernd nächt´gem Rauch,
ward geworfen feurig in des Abgrunds Bauch.
Kinder schreien
Splitter in die weichen
Beinchen gefetzt,
die Mütter an den Straßen
zerspellt.

So aber ist Leben notwendig
Und das Prinzip: Hoffnung.
Rivka spielt vor, wie Moischele
der Sarah spricht den Lobgesang
des Manns für die Frau 
vor dem
Schabbath
Am Freitagabend.
Erzählt Frauen-Geschichten.
Kam einst ein Rebbe, die Frauen wollt er´
nicht im unteren Saal sehn´,
von der Schwelle
wies s i e ihn
aus Adonais Haus
eine Judith 2003,
und er ging.

Die gestohlenen Türen der
Freiburger Synagoge
Kehrten
In die Engelstraße zurück.
Dunkel, angefasst von jenen,
Welchen die andren
Das Leben nahmen.
Ich berühre sie scheu.
Unanrührbar ist noch vieles.
900 wieder,
901 mit mir?
Nicht alle beten
Aber in der Lade liegt der Gebetsschal
Und die alte Thora ruht aus
Neben den jungen.
Ein Brunnen, ä Bächli, läuft zu
Aus dem Haus Jahwes,
Darin
In des Wassers
Lebend´ger Bewegung:
Sulamiths brennende Tore,
Rivkas fließende Stimme,
Und die stumme Bitte´des Dichters: Vergebt.

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