Moderne Literatur, Hitze und schlechte Mode

Montag, 1. Juli 2019 | von

43. Bachmannpreis 2019
Es ist geschafft. Der 43. Bachmann-Literaturpreis ist vergeben. Und auch alle anderen Preise. Die Autoren haben vor Publikum gelesen. Die Juroren haben diskutiert, gewägt, für und wider den Text argumentiert. Jede Autorin mit ihrem Text hatte mindestens einen Fürsprecher, denjenigen, der den Text und damit die Autorin eingeladen hatte. Jeder Juror hat engagiert Für und Wider abgewogen. In wunderbaren Diskussionen wurden die Texte seziert, bewertet, begutachtet. Ich, der Zuschauer, Zuhörer war mal Jenem zugewandt, mal Jener. Meine Zuneigung intellektueller Art galt mal Jenem, mal Jener. Alle Jurymitglieder bekam mal meine Zustimmung, mal meine Ablehnung.

Meine Zustimmung, meine Ablehnung machte sich fest nur an inhaltlichen Kriterien? Nicht auch an optischen Kriterien? Wohl kaum. Insa Wilke, gefällt mir als Frau mehr als Nora Gomringer. Stefan Gmünder als Mann mehr als Hubert Winkels. Trotzdem flatterten die Argumente hin und her, lösten sich von den Bildern der Juroren, wurden weit, flirrten ins Weltall. Doch immer wieder wurde ich als Fernsehzuschauer zurückgeholt, aus der Textwelt in die andere Welt. Und so nehme ich wahr, meine Aufmerksamkeit wird torpediert durch zwei Tatsachen:

  1. Das Studio ist überhitzt. Letztes Jahr erlitt ein Zuhörer einen Zusammenbruch. Die Rettungssanitäter mussten kommen, ein im Publikum anwesender Arzt konnte Erste Hilfe leisten. Dieses Jahr erlitt die Jurorin Nora Gomringer einen Zusammenbruch, fiel für einen Nachmittag als Jurorin aus. Warum kann die ORF als Ausrichter des Literaturwettbewerbs nicht dafür sorgen, dass im Saal hörerfreundliche Temperaturen herrschen? Das Verteilen von 3-Sat-Fächern kann ja wohl nicht die Lösung sein.
  2. “See me -feel mee“(The Who). Dass Deutschland, Österreich und die Schweiz im Sommer ein Mode-Mordor darstellt, wissen wir. Der Massenmodegeschmack changchiert zwischen Trainingshosen und zu oft gezeigten Poporitzen unter kurzen Hemden. Der Sommer verstärkt das Problem, und so sahen wir im Studio all die Mode-No-Gos, die ein Sommer so mit sich bringt: kurze Hosen, Sandalen etc. Ok, das lässt sich aktuell nicht ändern. Modewächter an den Pforten von Klagenfurt kämen jetzt eher nicht so gut rüber. Aber wäre es nicht wenigstens möglich, dass die Juroren und Jurorinnen Vorbild wären, so wie sie es im intellektuellen Diskurs sind?

Könnte der ORF, die ARD, das ZDF, die SRF und damit 3-Sat nicht jedem Juror 1000 Euro Kleidergeld gewähren, damit er/sie der Literaturwelt standesgemäß entgegensitzt?

Was stört mich? Der Juryvorsitzende Hubert Winkels, ein kluger Kopf mit spitzer Zunge und klarem Verstand sitzt drei Tage (seit gefühlten fünf Jahren) wie die Wiedergeburt von Hans-Christian Ströbele mit schlecht sitzendem Hemd und sichtbaren weißem Unterhemd im Saal. Wie sich diese Antimode so verbreitet hat, ist mir seit Jahren ein Rätsel. Warum muss der Mann seiner Mitwelt sein Unterhemd zeigen? Ich mag es nicht, wer mag es mögen? Wie es anders geht, zeigt am ersten Lesetag Stefan Gmünder. Ein weißes Hemd, gut geschnitten, feiner Stoff, langärmlig, wie das von Hubert Winkels leicht hochgekrempelt. Dass er diese Stilsicherheit am Tag zwei, drei und vier nicht mehr hatte – schade.

Bleiben wir bei den Herren der Schöpfung: Klaus Kastberger zeigt mit seinen T-Shirts seit Jahren, wie Mann mit mehr oder weniger subtilen Mitteln Botschaften transportieren kann. Die Hemden selbst sind oft billig auschauende Shirts. Aber am dritten Tag des Lesewettbewerbs zeigt er auch, was möglich ist, mit einfachen Mitteln einen guten Eindruck zu machen. Sein T-Shirt L… Ansonsten ist seine Garderobe grauslich und ich nehme an, es liegt nicht am Geld. Bei Hubert Winkels sieht es ja so aus, als trage er ein Hemd an fünf Tagen. Am letzten dann mit Anzugsjacke drüber. Stichwort: Kleiderhilfe.

Der letzte der männlichen Recken: Michael Wiederstein. Wie ein Priester erscheint er am Tag zwei, drei, vier und fünf (Tag eins habe ich nicht gesehen – warum überträgt eigentlich 3-Sat nicht auch die Eröffnungsrede live im TV?) in schwarz. Man mag es ja mögen, man muss es aber nicht mögen. An sich mag ich schwarz. Aber ist es nicht ein wenig eindimensional? Ich erinnere mich an eine Vernissage im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein. Wir, Dagmar, James und ich, kamen zu der Vernissage. Alle – männlichen – Gäste trugen schwarze Kleidung. Alles Priester, alles Adepten des einen Gottes. Wie erfrischend wir – besonders James. Er war der einzige Schwarze unter diesen weissen Männern.

Und die Damen? Gerne würde ich schreiben: Ach sie waren so anders. Doch beileibe nicht.

Nora Gomringer zeigte ihre Solitäreigenschaft und präsentierte sich in fünf Variationen als kreative Punkkünstlerin. Wobei mir nicht klar wurde – war jetzt das fehlende T bei Terminator dem Blick geschuldet? (Es – das T – war da, aber vom rechten Arm verdeckt, oder war es Teil der Perfomance?)

Insa Wilke zeigte am zweiten Tag, dass es möglich ist, ein leichtes, buntes Sommerkleid zu tragen und darin gut auszusehen. Dass sie das Kleid schon letztes Jahr zeigte -Schwamm drüber. Wir sind ja in Klagenfurt nicht bei der Oskar-Verleihung.

Hildegard Elisabeth Keller wurde Siegerin – aber auch ihr gelangen nur zwei von vier mögliche Punkte. Ein einfaches Sommerkleid und ein schönes, künstlerisch gestaltetes, eng anliegendes T-Shirt am Samstag. Dazu die am schönsten gestylten Haare des ganzen Wettbewerbs. Chapeau!

Nachtrag: Ronja Othmann gelang es zu zeigen, wie wenig es bedarf, um gut auszusehen. Eine schöne goldfarbene Metallbrille, einfacher Schmuck um Hals und Armgelenke und dazu ein weites weißes Hemd. Und auch ein Mann zeigte uns unter den Autoren, dass es möglich ist, gut angezogen Texte zu lesen. Daniel Heitzler mit langem schwarzen Haar, offen getragen mit schwarzem T-Shirt und dunkelrotem Anzug. Fast hätte ich vergessen, dass ich jederzeit mit ihm ins Bett gegangen wäre, ihm aber keinen Punkt für seinen Text gegeben hätte. Sorry.

Nachtrag Zwei: Dass Ronja Othmann den 3-Sat-Leserpreis bekommen hat, freut mich, auch ich habe dazu beigetragen.

Bis zum nächsten Jahr
Dieter Emil Baumert