Freund vom Bodensee
Donnerstag, 11. August 2022 | von Dieter Emil Baumert
Unser Freund vom Bodensee ist stolz, dass er seit mehr als fünf Jahren keine GEZ-Medien mehr schaut. So postete er in der Folge alles mögliche aus seiner Welt, von Corona-Gegnern bis QAnon.
Zuletzt freute er sich darüber, dass Putin die Nato zerstöre. Auf meine Antwort, dass ich mich für Finnland und Schweden als neue Nato-Mitglieder freue, reagierte er mit Kündigung unser Facebook-Freundschaft.
Reisende soll man nicht aufhalten. Aber auch der irrlichtende Geisterfahrer wird eines Tages merken, dass seine Richtung die falsche ist: Mach’s gut, alter Freund Ö.
Die ganze Geschichte
Am Beispiel von Ö. liesse sich sehr schön das Abdriften eines Menschen in seltsame Paralell-Welten zeigen. War er als Sohn türkischer Gastarbeiter – seine Mutter schaffte im Fisch in Bremerhaven – gern gesehener Gast bei Dagmars Mutter zog er Jahre später an den schönen Bodensee. In den Achtzigern waren wir in Frankfurt in der Alten Oper und hörten ein wunderbares Konzert von Mikis Theodorakis mit seinem türkischen Freund Livanelli.
Er transportierte nach dem Tod unserer Mutter Bücher zu meinem Bruder in Altjabel. Und bot auch einigen Büchern unserer Buchhandlung Asyl. Seine Bemerkung, dass er diese Bücher nicht lesen würde, irritierte mich unangenehm. Die Bemerkung hatte eine Schärfe, die ich nicht verstand.
Jahre später verstand ich, er las dann nur noch Bücher eines rechten Verlages.
Um Deutscher zu werden, bot ich ihm Hilfe der grünen Bundestagsabgeordneten des Bodensees an. Er entschied sich dann, dem türkischen Staat Geld zu geben, damit der ihn von der Wehrpflicht befreite. Schade, vielleicht hätte ihn das dann Jahre später davon abgehalten, Hassmails über die Grünen zu posten.
In der Anfangszeit von Facebook postete er viele schöne Zitate türkischer Autoren oder von Einstein und anderen Geistesgrößen der Welt. Als Gegner der USA postete er Beiträge von US-Kritikern, die bei Markus Lanz waren. Auch Richard David Precht war ihm willkommen mit seiner Schulkritik, die ja an Illich, Neill und andere erinnert.
Dann postete er keine schönen Worte mehr.
Einmal postete er, dass er ab jetzt keine öffentlich-rechtlich finanzierten Sender mehr schaue. Ich dachte: interessant, ein Experiment, mal ohne Glotze zu leben. Ich dachte in meinem Unwissen, das erinnert mich an Walden und sein Experiment im Wald. Doch werch ein Illtum.
Ab dann postete er Filme aus sozialen Netzwerken mit einer, freundlich gesagt, sehr eigenwilligen Weltsicht. Er wurde zum Feind von G5, von Chemtrails. Noch war er gegen die Vollverschleierung der Frauen, hervorgehoben durch islamistische Eiferer. Als Türke äußerte er sich deutlich zu Erdogans Politik. Vor seinem TV-Verzicht konnte ich ihm noch einen guten Film über Atatürk senden. Als der Putschversuch stattfand jubelte er, etwas zu früh, toll, endlich weg.
Dann kamen immer mehr Posts hinzu, die menschenerachtend sind. In einem Film wird zum Mord an Lauterbach aufgerufen. Als rechter Impfgegner postete er immer mehr Beiträge, war stolz, dass er die Maskenpflicht umging, und zeigte im Foto, wie er das machte. Immer wieder postete er, dass die deutsche Regierung eines Tages in einem neuen Nürnberger Tribunal abgeurteilt werden wird.
Und so ging’s weiter, Trump hatte natürlich Recht mit seinem Aufruf zur Besetzung des Weissen Hauses. Putin hat natürlich Recht, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine zu führen.
Dann kam die Freude darüber, dass Putin die Nato zerschlägt. Und dann kommt mein kurzer Text siehe oben).
Neben dem Hassprediger gab es auf Facebook auch den liebevollen Großpapa, der über sein Enkelchen liebevoll schreibt. So liebevoll, wie er einst auch über seinen kleinen Hund schrieb, mit dem er und sein Sohn uns auf seiner Reise zu uns nach Apulien hierher kam.
Soweit die Füße tragen, oder die Räder unseres heiligen Blechles.