DEB, 1990 Australien, by Dagmar Perinelli

Warum wählen Grüne einen CDU-Bürgermeister?

SEIDLER, DAS WEIHWASSER UND DIE GRÜNEN TEUFEL

von dieter e. Baumert

(editorische Anmerkung: der Artikel erschien in der September/Oktober Zittig 1985, Zittig Nr. 76/77. Die Redaktion praktizierte damals die radikale Kleinschreibung. Wir haben dies hier beibehalten. DEB 2006-05-26)

eine typische szene dieser tage: kommt ein bekannter lehrer aus einem städtchen nicht unweit von lörrach auf mich zu und bittet
händeringend um die beantwortung einer frage: „wie könnt ihr einen CDU-Mann zum bürgermeister wählen?“. der, der dies sagt, ein mir
sympathischer lehrer meiner generation, ex-SPD-mitglied, wählt im landkreis GRÜN und bundesweit SPD, der also bekreuzigt sich dreimal und fürchtet die CDU wohl so, wie der teufel das weihwasser. „nie würde ich CDU wählen, komme was da wolle.“ ihm sind in der partei mit dem C des gekreuzigten zu viele nazis drin. letzterem will ich nicht widersprechen.

versuche ich also all jenen, die ihre stirn vergeblich in falten legen und ihren geist mit jener unnützen frage quälen, eine antwort zu geben:

Pressebericht Grüne

die vorgeschichte: der alte bürgermeister, edmund henkel (freie wähler) – gott sei seiner seele gnädig – schied dieses frühjahr durch leukämie aus dem leben. jahrzehntelang hatte er zusammen mit anderen alten männern in dem triumvirat hugenschmidt/dressel/jung/ vogel/henkel die geschichte der stadt lörrach in die ihnen genehme bahnen geleitet. (der leser/die leserin merkt: ich halte mich zurück mit nachrufen, mein geldbeutel verbietet es
mir). musste also ein neuer her.

in baden-württemberg wird ja der burgi, sofern es in gemeinden einen oberburgi (also ab 40 tausend einwohner) gibt, nicht mehr vom volk gewählt, sondern vom gemeinderat. ein nicht ganz zeitgemässes, das heisst undemokratische zeremoniell. wen wundert es, dass dann die wichtigen entscheidungsprozesse fernab der öffentlichkeit gefällt wurden, diese immer nur ergebnisse zu sehen bekamen. und wen wundert es dann, dass nur wenige kandidaten überhaupt eine chance hatten, nämlich die, die eine der grossen parteien hinter sich hatten (und paar stimmen der kleinen…). unter die räder kam so das CDU-mitglied und stellvertretender landrat von waldshut eckert (er zog dann rechtzeitig zurück, erbost und verärgert über so wenig unterstützung seiner eigenen partei) ebenso wie der vor ideen brillierende dieter bullinger, prognos-mitarbeiter, aber parteilos. und auch der stadtbekannte chaotenfreak charly bekam nur ärger mit seiner verwandtschaft, sodass er (böse zungen sagen: der lieben erbschaft wegen) kurz vor der wahl seine kandidatur zurückzog.

da die lörracher stimmbürger bei der letzten OB-wahl der CDU eine absage erteilt hatten (ein viertel jahrhundert patriarch egon war
genug – siehe sondernummer ZITTIG „lieber egon“) und somit der CDU-kandidat – auch zusammen mit den stimmen der freien wähler – es nicht geschafft hätte, die SPD/FDP/GRUNE-koalition zu überrunden und seitdem der ex-minister offergeld (SPD) in lörrach regiert, galt es als nicht schicklich für die SPD, einen eigenen kandidaten aufzustellen.

hatten unter CDU-hugenschmidt die freien wähler den zweiten mann im rathaus gestellt, so wollte die CDU diesen platz jetzt mit einem
eigenen mann belegen (dass es bei dem ganzen bürgermeisterspiel nur um männer ging, versteht sich in lörrach 1985 leider immer noch von
selbst). da nützte den freien wählern jahrelange treue in grundsatzentscheidungen nichts, auch nicht ihr einstimmiges votum für OB-kandidat rübsamen (CDU). der konservative juniorpartner wurde – so weiss die gerüchteküche zu berichten – weder bei der wahl des CDU-kandidaten konsultiert, noch bekamen die freien wähler von der CDU das signal, einen eigenen kandidaten aufzustellen, welcher dann die unterstützung der CDU erhalten hätte.

von soviel nichtbeachtung verärgert, stellten die freien wähler den staatsanwalt ulrich may als ihren kandidaten auf. may, am rechten flügel des rechten lagers angesiedelt, sozialer aufsteiger, der auf dem weg vom volksschüler zum staatsanwalt das buckeln nach oben und das schlagen nach unten gelernt hat, taugte dazu, wie sonst kaum einer, der CDU die kränkung zurückzuzahlen. dumm und populär, dachten sich die freien wähler – das kommt in lörrachs gemeinderat an. und wenns trotz alledem nichts wird – der ulli wird das schon verkraften. may war im gemeinderat seit seiner wahl vor einem jahr nicht gerade durch seinen geistreichtum aufgefallen. wenn aber law
and order gefragt war – may war an vorderster front. als OV-schreiber polit gegen das lörracher kommunikationszentrum wetterte (siehe dezember-1984-ZITTIG), stieg may voll ein und forderte von der stadt, dass sie die stellen dem KOZE wegnehmen und selber übernehmen solle. polit, CDU-stadträtin wyck und may schafften dies nicht sofort, aber im herbst 1984 gab es vom freiburger regierungspräsidium rotes licht für die verlängerung der KOZE-massnahmen. und als polit im fall eberle auf ZITTIG-redakteur baumert einschlug forderte may den rücktritt der GRÜNE-stadträtin dagmar perinelli, weil diese sich nicht vom kritisierten nachruf distanzierte.

unterstützung bekam may von OB offergeld signalisiert. may wäre genau der richtige juniorpartner für den machtbesessenen offergeld, dem seine bonner ministerzeit noch immer in geist und knochen sitzt. einen starken partner mit eigenen vorstellungen kann offergeld nur schwer verkraften. anstatt die verwaltugnsprozesse zu demokratisieren, zentralisiert offergeld immer mehr. im rathaus munkelt man bereits, dass spätestens in 1-2 jahren verhältnisse wie unter hugenschmidt herrschen werden, wenn es mit offergeld so weitergeht. hier wäre may also die richtige ergänzung: may hätte die feste und vereine besuchen können, offergeld politik machen.

des minister wort in der partei ihr ohr. wer wollte dem genossen OB diesen wunsch verwehren. zuletzt die lörracher SPD. weil: den eigenen OB vergraulen, das geht nun wirklich nicht. und bot sich mit may doch auch die chance – so die genossen – den CDU-mann zu verhindern, wer immer dies auch sein möge. zwar gab es da noch den SPD-nahe lörracher stadtbaudirektor axel lausch, dem einige genossen/genossinnen auch recht wohlwollend gegenüberstanden, doch auch den wollte offergeld nicht. dazu die angst vor einem CDU-mann im nacken – da wählen die genossen auch mal die dummheit (hierzu liesse sich übrigens viele parallelen in der bundesrepublikanischen SPD-geschichte finden). zwar hätten SPD, FDP und GRÜNE lausch in den zweiten wahlgang heben können, aber die SPDler hatten angst, dass dann die freien wähler verärgert doch wieder den CDU-mann wählen würden. und dann….so sagt es die gerüchteküche, soll es dann noch einen deal gegeben haben…“: die freien wähler sollen der SPD zugesichert haben, wenn may bürgermeister wird, würden sie für die schaffung eines dritten bürgermeisterpostens plädieren und dies könne dann manfred steinbach, lörrachs tiefbauamtsleiter und linker SPD-mann werden. soweit die saga.

alles klug ausgedacht, doch ein haken hatte die sache: das spiel funktioniert nur dann, wenn die GRÜNEN dies dreckige spiel mitmachen. und dazu war keiner im ortsverband und keiner im rat bereit. dann lieber einen starken CDU-mann wählen. das bringt der demokratie im rathaus und in dieser stadt mehr. der SPD wurde signalisiert: ihr könnt den CDU-mann nur verhindern, wenn ihr geschlossen lausch wählt, ein mann der auch (gerade noch) von den grünen toleriert werden konnte, doch wenn ihr diese chance nicht nützt, habt ihr es zu verantworten, wenn es einen CDU-bürgermeister gibt. von freier wähler-, FDP- und CDU-seite gab es zudem zusagen, im zweiten wahlgang lausch zu wählen, wenn dieser in den zweiten wahlgang komme. eine vertane chance für die SPD.

die gesichter wurden lang und länger, manche sozialdemokraten und manche freie wähler schauen grüne seitdem nur noch mit dem arsch an,
offergeld brachte es am wahlabend erst nach mühsamer konzentration fertig, dem CDU-kandidaten seidler die blumen für den erlangten sieg zu überreichen und lief danach wie im schock umher: sozialdemokraten zischten „das kriegt ihr wieder“, heuchelten etwas von „und wir dachten, wir können mit euch hier hessische verhältnisse praktizieren“ als hätte die SPD in lörrach sich in irgendeiner weise in ihrer politik auf die GRÜNEN zubewegt….

und der neue mann, (noch) kein CDU-mitglied, josef seidler, von eyrich protegiert, ex-leiter einer frauen-vollzugsanstalt, danach notar – welche politik wird er machen? wir werden sehen – und, wie er am wahlabend die grünen bat, ihn rechtzeitig knaufen, wenn er nicht in unserem sinne politisiert – was viele grüne (neben den vielen zahnlosen, für die auseinandersetzung schon gewalt und anpassung politik ist) nach wie vor sehr, sehr gerne tun.

(dazu: Brief des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Christel, zitiert in der Badischen Zeitung vom 14./15. September 1985)