Editorische Anmerkungen:

DEB by Dagmar Perinelli

2002-10-13 DEB:

Im Original hatte ich irrtümlich geschrieben:

carl amery. Helmut Herbsters Vater hat mich während der Psychiatrie- Veranstaltung
der Lörracher Grünen im Kommunikationszentrum im Spätherbst 1985 darauf hingewiesen.

Helmut Herbster wird heute auf dem Familiengrab der Herbster in Lörrach-Stetten gedacht – er ist damit zurückgeholt in den Schoß der Familie.

Lörrach hat inzwischen eine psychiatrische Abteilung im Krankenhaus.

Links:

www.taz.de
Helmuts Tageszeitung,
ohne Traumfußballseite

www.psychiatrie.de/ dgsp/namen.htm

Willemsen, Roger
Der Selbstmord
Briefe, Manifeste, Literarische Texte.
KIWI 720, ISBN 3-462-031-69-4
www.buchkatalog.de

Der Selbstmord

Die umfassendste Sammlung literarischer und theoretischer Texte zum Thema Freitod! „Eine bemerkenswerte Dokumentation“
(Süddeutsche Zeitung)
Fast jeden Tag ist in den Nachrichten von neuen Selbstmordattentaten die Rede. Doch außerhalb des tagespolitischen Diskurses wird der Akt des Selbstmordes noch heute weitgehend tabuisiert. Gegen diese Sprachlosigkeit treten die von Roger Willemsen ausgewählten Texte an, die einen Querschnitt durch die jahrhundertealte Diskussion des Themas bieten. In den hier versammelten Schriften von Seneca bis Camus, von Hume bis zu den Surrealisten

Helmut Herbster ist tot

ZIITIG 76/77
September/Oktober 1985

ODE AN HELMUT

HELMUT HERBSTER IST TOT

„O Angst.. nicht vor dem Ende. Das ist mir gleichgültig, wie alles was um mich vorgeht, und zu dem ich keine Beziehung habe. Der Grund zu kämpfen, die Brücke, das innere Glied, die Raison d’être fehlt“

Aus: Kurt Tucholskys Abschiedsbrief an Mary Gerold-Tucholsky

Sie haben dich auseinandergeschnippelt, um zu sehen, ob da nicht der fremde mörder zu sehen ist, sie haben dich heimlich verbrannt, die urne, weit weg von deinem wirkungskreis aufbewahrt, die zeitungen werden keine todesmeldungen in anzeigenteil bringen. du sollst einfach weg sein, ohne daß man es uns sagt – so wichtig wird der helmut ihnen nicht gewesen sein. und dann die zeit, die die wunden des grases heilen soll, das über den toden der toten gewachsen ist.

Ich bin ihnen nicht böse, daß es kein großes begäbnis gibt und auch die todesanzeigen in ihrer falschen sprache in den bürgerlichen zeitungen vermissen wir nicht. aber du sollst doch bei uns bleiben: dafür schreibe ich dir nach. und, bei manchen gläsern weiswein und einem guten essen mit angeregten diskussionen denken wir an dich und feiern dich, so, wie du es sicherlich gewollt hättest.

Du hast hand an dich gelegt, im wahrsten sinne des wortes von jean amery. du hast dich erdrosselt in einer psychiatrie, viel kilometer von hier. und jeder, auch ich, fragt, war es so gewollt, vielleicht schon lange geplant, war es ein unfall? du kannst es uns nicht mehr sagen und so werden wir vermuten.

Wir wissen, warum wir diese unmenschliche psychiatrie hassen. und wußten doch nicht, wie wir dir helfen konnten. wie wir auch unseren anderen freunden, in manischen phasen, kaum, ganz wenig, helfen können. die psychiatrie knallt dich mit medikamenten voll, daß du rumläufst, wie ein roboter, nur nicht so kräftig, dafür leidest du, vielleicht hätte es schon geholfen, in der psychiatrie bleiben zu können, die dich jahrelang schon kennt. doch das ging nicht und so wurdest du umhergeschoben. hätten wir in lörrach eine psychiatrische abteilung, oder besser: wohngruppen, ihr kämt nicht immer so weit weg, wir könnten euch einfacher besuchen. zu genau kann ich mich an deine angst vor bestimmten psychiatrien erinnern, doch nicht mehr daran, ob du auch vor deiner letzten angst hattest. verdrängt.

Deine ärzte haben dich meistens nur vollgepumpt,irgendwann wirds schon vorbeigehen und es ging immer wieder vorbei und du hast es ertragen. stoisch in deinem leiden an dir und deiner familie. doch gerade an die konntest du keine hand anlegen. wir haben es versucht, dir, wie auch deiner schwester für sich, zu sagen: du mußt an die wurzeln gehen, an die familie, die krankmachende, lähmende, tötende. doch dir war ein erkennen und akzeptieren und dann ein verändern nicht möglich. zu bedrohend war diese dunkle wolke, die immer wieder kam und nicht verschwinden wollte. und alle therapien, die da nicht ansetzten, mußten scheitern, scheiterten.

So torkelst du die letzen jahre durch dein leben, durch die welt. die institutionalisierte heilung, der gesicherte, weil bei der krankenkasse ordnungsgemäß abzurechnende, weg, konnte dir zwar die zeit vertreiben, aber keine liebe geben und keine hoffnung.

Und du wolltest doch so viel machen: du träumtest, als fußballbegeisterter, davon, einmal eine wirklich gute sportseite in der TAZ zu machen. Ich bin mir sicher, du hättest es geschafft. und wärst nicht ein billiger schreiber geworden, dein kritischer geist hätte sich mit deiner liebe zum sport verbunden. und ich, der ich über deine begeisterten referate über die fußballspiele der saison zuhörte, weil ich durch deine begeisterungsfähigkeit, deine sprachakrobatik, meine unlust am fußball verlor, ich hätte sicherlich auch deine sportartikel gelesen,ich, der sonst aportseiten nur mit dem arsch anschaut.

Wir hätten deinen humor ebenso noch gebraucht, wie deinen sarkasmus und deine brillanten fabulierkünste. sehen wir uns die alten flugblätter durch – werden wir deine handschrift finden.

Deine politische entwicklung ist so typisch, wie gleichzeitig atypisch für unsere generation. am protest gegen die überholten werte der alten, im sog der studentenbewegung, der antiautoritären revolte, politisierten wir uns, schärften unser bewußtsein. in lörrach hast du, wie ich in säckingen, zu den ersten kämpfern für freie, selbstverwaltete jugendzentren gehört, bekämpft und gehasst von der etablierten gesellschaft. beim aufbau des lehrlingszentrums warst du führend beteiligt, bekämpft vom lörracher dgb, warst bei den organisatoren der demonstration gegen den den versuchten sturz des sozialdemokratischen kanzlers brandt anfang der siebziger jahre. mir blieb der weg durch die spd erspart – sie wollten mich nicht. du versuchtest das glück deiner generation, doch es waren nicht unsere werte, die freiheit und gleichheit, die antiautoritäre rebellion gegen die alten, überholten werte, die in der spd zu verwirklichen waren. da fehlte der blues und der rock. dazu hatte diese partei eine zu lange geschichte – die der anpassung, des verzichts und des verrats. und sagten die jusos der siebziger jahre „wir sind die spd der achtziger jahre“, so zeigen uns diese heute sehr deutlich, was dies heißt: radikalenerlaß, terroristenhatz und -gesetze, zuletzt nato-nachrüstung. das war kein weg für dich, das überschritt die schwelle deiner politischen moral. du sagtest der alten tante spd tschau. dem späten kind der protestbewegung, den grünen, warst du von anfang an ein treuer, aber sehr kritischer begleiter. du tratst nie in die partei ein, warst aber immer wieder bei uns, machtest mit, brachtest deine vorstellungen ein.

Während viele unserer generation abschied nahmen von den idealen der aufklärung, den rationalen zugunsten des mystischen diskurses aufgaben, bliebst du ein rationaler aufklärer. während andere sich in ihr alternativ-bürgerliches privatleben zurückzogen, zeigtest du, daß veränderung auch immer im gesellschaftlichen bereich stattfinden muß. während die szene sich den arsch am joint und am bier, am fernseher, an frau und kind/mann und kind wärmte, stelltest du dich auch gesellschaftlicher auseinandersetzungen. du warst aktiver mitarbeiter im sozialen arbeitskreis, das leben mit kindern brachte dir einen teil jener zärtlichkeit, die du sonst so vermißtest. und auch da warst du immer derjenige, der die egoistischen gruppeninteressen überwinden konnte, zu solidarischer zusammenarbeit mit anderen gruppen aufrief. und doch konnten wir dir nicht die liebe geben, die du gebraucht hättest, in dieser kapitalistischen gesellschaft der härte. so ist dein tod für uns auch eine späte niederlage der protestbewegung. wie dein schulkamerad, christian klar, die tödliche waffen gegen andere menschen richtete, so richtest du die tödliche waffe gegen dich selbst.

Dein lachen wird uns fehlen, deine schönen sätze, deine klugen gedanken. vergib, wenn wir dich nicht mehr lieben konnten, als wir es taten. du hättest es mehr als andere verdient. und hätten jene zarten, lieblichen frauen, die du verehrtest, auch deine innere schönheit erkannt, hätte sie über deine äußerlichen verschludertheiten hinwegsehen gelernt – vielleicht wärst du jetzt bei uns. nun gut, es hat nicht sollen sein. es war schön mit dir – wir denken an dich.

dieter baumert

Todesanzeige Gudun Herbster

Gudrun Herbster und Dagmar Perinelli
Gudrun Herbster und Dagmar Perinelli, Lörrach. Foto: Paul Wieland