Catch as Catch can

Für 20 Mark zur Frauen-Schlamm-Schlacht

Hallo, da ist ja was los in Weil, im Musikladen. Da kommt nicht nur der Percy Sledge zu Besuch, da gibt es nicht nur die Vorauswahl zur Miss-Germany-Wahl, nein, da gibt es auch die Frauen-Schlamm-Schlacht. Wer den Film „Cabaret“ gesehen hat, der weiß um was es geht. Wer nicht, der muss sich den Rest denken, oder für 20 Mark in den Musikladen gehen. Und das taten dann auch viele Männer, erheblich weniger Frauen.

Doch die Zeiten sind vorbei, wo Männerherrschaft unkritisiert geschieht. Da ist hie und da schon mal eine Frauenbeobachterin bei einem Vergewaltigungsprozess (und lässt den Richter vorsichtiger werden), da ist auch mal plötzlich über Nacht die Schaufensterscheibe eines Lörracher Sexwarengeschäftes mit frechen Parolen beschmiert. Und da geschieht es auch tatsächlich, dass – so mancher Mann versteht die Welt nicht mehr – Frauen und Männer! eine Aktion gegen Frauen-Schlamm-Schlachten organisieren.

In der Stadt hatte eine Frau ein Plakat für die Schlamm-Schlacht gefunden und ihre Empörung mitgeteilt. Das machte schnell die Runde und fast ein Dutzend Frauen waren dann am vereinbarten Treffpunkt. Doch angesichts der Nähe des Ereignisses trat die Empörung in den Hintergrund, kamen Angst und Zweifel zutage. Was erwartet einen dort wohl? Werden wir zusammengeschlagen? Mit so wenig Frauen eine Demo machen, geht das überhaupt? Vielleicht versuchen dir gar, eine zu vergewaltigen. Und überhaupt – sind wir denn Moralapostel, wurden wir Jungen nicht durch die Lockerung der sexuellen Sitten im Aufbrechen der Tabus auch befreit? Die Stimmung ist gedämpft, die Frauen sind unsicher. Dann kommt eine, bringt die Plakate, die werden ausgepackt und gelesen. Dem Anthroposophen, dem männlichen, schlägt die Wucht der Argumentation weiblichen
Selbstbewusstseins entgegen. Die Männerzeit sei vorbei, wo Männer die Frauen zu Fickmaschinen oder Geschirrspülmaschinen degradieren konnten, aus ist es mit der Macht der Schwänze. Der Anthroposoph, ein Mann wie gesagt, findet diese Ausdrücke ordinär, unpassend. Aber verschwindet das Böse denn, wenn mann/frau es nicht mehr erwähnt? Die Argumente der Plakate bringen die alte Wut der Frauen zurück. Los gehts, was haben wir zu verlieren?

Der Musikladen, ein einstöckiges Gebäude am Rande der Siedlung in Haltingen. 20 Männer warten auf Einlass, die Tür ist noch zu. Wir kommen an, die Transparente werden umgehängt. Wir fotografieren die Leute. Sie sind unsicher, verunsichert. Kaum eine laute Bemerkung, die Männer murmeln ihr Unbehagen, die Blitze des Fotoapparates verwirren sie, sie zucken zusammen wie der Täter, der ertappt wird bei einer verbotenen Tat, ziehen ihre Schultern ein, drängen in den Raum. Frauen, die zur Schlammschlacht gehen wollen, werden gefragt, warum sie denn da rein wollen. Eine sagt: Um mich zu amüsieren. Ob sie es denn lustig finden, wenn Frauen sich für Männeraugen mit Schlamm besudeln. Das weiß sie nicht, sie kennt ja noch nicht die Schlamm-Schlacht. Ihr männlicher Begleiter lächelt gequält. Gentlemen sind tolerant. Hoffentlich ist die Emanze bald fertig. Wir lassen uns doch den Abend nicht versauen. Einer anderen Frau ist der Abend versaut. Sie will nicht mehr. Sie zieht ihren Freund weg. Komm, ich mag nicht mehr, lass uns gehen. Eine andere reagiert ganz männlich: Das geht Dich gar nichts an, schreit sie die fragende Frau an und rennt zur rettenden Tür, als sei hinter der Tür die Welt noch in Ordnung, als könne sie sich unverletzt in die Männerwelt zurückbegeben und weiß doch genau, dass sie vorne mit ihren Schildern doch Recht haben und die Verletzung durch die Männer in ihrer Welt passiert. Aber noch ist sie ohnmächtig, kann sich nicht wehren, noch muss sie die Falschen beschuldigen, weil die Richtigen noch die Stärkeren sind.

Dann kommt der Chef, Herr XX *, ca. 40 Jahre. Er ist erregt. Er weiß genau, dass sich die Aktion der Frauen auf sein Geschäft schlecht auswirkt. Er liest die Plakate, sagt zu seinem Kellner neben ihm immer und immer wieder: Denen ihre Worte sind obszöner als das, was wir hier machen. Er sagt es so oft als müsse er sich das eintrichtern, damit er es selber glauben kann. Das kann doch gar nicht schlecht sein, sagt er, selbst das Fernsehen bringt das doch. Und was ist das denn, die Frau da, hat ja zwei Löcher in ihren Strümpfen, ah ja, solche sind das also, mit Löchern in den Strümpfen laufen die rum, kann wahrscheinlich nicht mehr stricken. Frauchen wagt so rumzulaufen wie es ihr Spaß macht. Und sie wagt es auch, die Sprache der Männer zu benutzen, so wie es ihr Spaß macht; nur wird das im Mund der Frauen zur anderen Sprache – in einem anderen Diskurs wird das Wort ficken zu dem, was es für Männer und gegen Frauen tagtäglich ist – Sexualität und Gewalt.

Ich rede mit ein paar Jugendlichen aus der Vorstadt. So um die 15 Jahre werden sie sein. Sie finden die Aktion toll. Endlich was los. Und da drinnen, da werden Frauen den geilen Typen vorgeführt. Aber in Lörrach habt Ihr doch auch massig Puffs und so. Ihre Empörung ist ehrlich, gemischt mit einem Hass auf den Besitzer. Der würde nur die feinen Leute reinlassen, sie würden gar nicht hereingelassen werden. Einer von ihnen war mit der Tochter der Inhaber befreundet. Die Eltern haben das rausgekriegt und sofort der Tochter verboten, sich mit dem Jungen zu treffen. Was das denn für Eltern seien! Einer sagt, er könne immer zu seinen Eltern gehen und ihnen alles erzählen, aber die? Tagsüber müsse das Mädchen immer in der Kneipe arbeiten, putzen und so und abends bis Ultimo auf das kleine Geschwister aufpassen. Und ein anderer erzählt von einem Freund, der bei denen gearbeitet hat. Drei Monate, fast jeden Tag und am Schluss gab es weder Geld noch Dank, nur Tritte. Vor dem Arbeitsgericht sahen sie sich wieder. Er habe immer erzählt, der Junge sei versichert, aber am Schluss habe sich rausgestellt, dass das nicht stimmt. Und so einer regt sich auf, erzählt was von obszön. Dass ich nicht lache.

Disko-Johnny versucht es mit Härte. Wenn ihr hier nicht weggeht, rufe ich die Polizei. Seine Frau ruft, ich zeige Euch an wegen Geschäftsschädigung. Fotos von uns werden gemacht. Die Polizei kommt nach einiger Zeit. Zwei Beamte. Wer ist denn hier verantwortlich? Keine. Alle. Geben Sie mir doch mal Ihren Ausweis. Ich habe ihn nicht dabei. Aber Sie. Ja, ich hole ihn aus dem Auto. Ein Moment. Die Besitzerin redet auf die Polizisten ein. Am liebsten alle mitnehmen, in den Knast sperren. Der Polizist gibt die Daten des Ausweises zur Kontrolle durch. Er fragt die Polizei in Lörrach: Was sollen wir tun? Sollen wir die Demo auflösen? Von Lörrach kommt die Auskunft, nein, das wäre unverhältnismäßig. Die dürfen nur den Eingang nicht versperren, aber ansonsten ist das schon zulässig. Und eben den Straßenverkehr darf man auch nicht behindern. Der Polizist: Geht das in Ordnung? Ja, klar! Die Besitzerin versteht die Welt nicht mehr. Sonst kommt die Polizei und macht Ärger hier. Aber nichts zu machen. Grundrechts auf Meinungsäußerung ist wichtiger als Geschäftsinteresse –ausnahmsweise. Die Polizei fährt davon. Die Besitzerin geht, der Regen wird stärker, es wird kalt. Wir haben gute Laune, war das doch eine gute Aktion. Lasst uns nach Hause gehen oder ins KoZe, noch ein wenig plaudern…

Dieter Baumert
erschienen in: ZITTIG Nr. 56, Mai 1083

* Anmerkung: Name für Zweitveröffentlichung auf baumert.de anonymisiert