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DEB by Dagmar Perinelli

Über Kurt Tucholsky, unsere Soldaten und höchstrichterliche Urteile aus Deutschland:

www.Tucholsky.net

„Angesichts der oft räuberischen Ziele der Staatsmacht und der Neigung der Menschen, die Entscheidung über Krieg und Frieden ihrer Regierung zu überlassen, ist eine allgemeine Bereitschaft zum Widerstand gegen die Forderungen des Staates umso nötiger."

John Rawls
Eine Theorie der
Gerechtigkeit
Suhrkamp Verlag, 1979
ISBN 3518278711

„Und oft ist es eine persönliche Angelegenheit der Regierenden, die die Welt zu den Waffen hetzt …
Ja, sogar dort, wo überhaupt keine Ursache vorhanden ist, erfindet man Gründe für den Krieg, indem man die Namen von Ländern mißbraucht, um den Hass zu schüren…..
Aber stelle dir die gerechteste Sache vor, stelle dir den günstigsten Ausgang des Krieges vor und berechne alle Schäden, die im Kampfe unvermeidlich sind, und die Vorteile, die ein Sieg mit sich bringt und schau, ob es sich auszahlte zu siegen! Fast niemals ergibt sich ein unblutiger Sieg. Man hat also mit Blut befleckte Mitbürger. Rechne den Verlust der guten Sitten und der öffentlichen Ordnung dazu, der durch keinen Gewinn wieder gut gemacht werden kann. Man erschöpft die Staatskasse, plündert das Volk aus, legt den Guten Lasten auf: fordert Charakterlose und Bösewichte zu Untaten heraus; und mit Beendigung des Krieges sind nicht auch sogleich alle Folgen des Krieges beseitig.“

Erasmus von Rotterdam. Querela Pacis – Die Klage des Friedens.
1516 nach Christus

Krieg und Frieden

Mörder sind keine Soldaten
Soldaten sind keine Mörder
Eine Dokumentation

ZITTIG Nr. 67, November 1984

Im Oktober riefen die Lörracher Grünen zu einer „Einspinn-Aktion am Isteiner Klotz auf. In dem Flugblatt hieß es dazu u.a.

DAS FLUGBLATT

Der Isteiner Klotz einst.
Mit Worten wie die des oben zitierten „Heimatdichters“ Hermann Burte wurden unter den Nazis – Burte in diesem Gedicht schon vor der Nazi-Herrschaft (1931!) – die Menschen im Dreyeckland für das Militär geistig gerüstet. Der geistigen Rüstung folgten sehr schnell die entsprechenden Taten. Zuerst wurden Bücher verbrannt, dann Millionen von Menschen in den Konzentrationslagern. Zuerst wurde geistig gerüstet gegen den Bolschewismus, gegen den Untermenschen im Osten, gegen das nicht-arische. Dann wurde aufgerüstet und das heißt immer: zum Krieg gerüstet. Die Herren vom Kapital waren den Nazis dankbar für den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Herren vom Militär waren dankbar für das Maschinen- und Menschenmaterial für den nächsten Krieg. Und die Pfaffen gaben ihren Segen.

1939 war der Führer am Isteiner Klotz. Denn die Nazis hatten den schönen Berg im Markgräflerland längst unterwandert, ausgebaut für ihre kriegerischen Zwecke. Den Menschen im Markgräflerland nützte dies wenig. Die Nazis machten ihren Krieg, das Volk machte mit. Die Folgen sind bekannt. Aber was haben wir daraus gelernt?

Der Isteiner Klotz Heute.

Der Krieg war verloren, Millionen Todesopfer wurden beklagt und alle(fast alle)riefen 1945: nie wieder Krieg. In den fünfziger Jahren rief noch Franz Josef Strauss zum deutschen Volk, daß demjenigen, der jemals wieder eine Waffe in die Hand nehmen würde, die Hand abfallen soll. Und Ende der fünfziger Jahre war es dem Nicht-Militaristen Adenauer vorbehalten, die Wiederbewaffnung des deutschen Volkes auszurufen. Dreißig Jahre danach sitzt Strauss in vielen der großen Rüstungsbetriebe im Aufsichtsrat und die Herren rüsten wieder auf. Die Hand soll heute nur noch dem Kriegsdienstverweigerer und dem Pazifisten abfallen, nicht mehr dem staatlich bezahlten Mörder – dem Soldat.

1983 gehen wir zum Isteiner Klotz. Denn die Militaristen waren die letzten Jahre nicht untätig. Man hat den kleinen Stollen atomkriegsicher ausgebaut. Von Ost nach West kann man kilometerweit unterirdisch durch Gänge und Hallen gelangen. Es ist vorgesorgt für den nächsten Krieg. Diesmal für den Atomkrieg. Verkauft wird uns, den Bürgern des Dreyecklands, der Tunnel als Sanitätsdepot. Doch wer wird nach einem Atomkrieg im Markgräflerland übrigbleiben? In Schopfheim haben sich Aerzte zusammengefunden, die von der Unmöglichkeit der Hilfe von Ärzten im Atomkrieg ausgehen. Wer bräuchte dann noch ein Sanitätsdepot.

Doch vielleicht können die Herren des Militärs den Isteiner Klotz ja noch anders verwenden. Sie können Waffen deponieren. Sie können die Politiker der Region dorthinein bringen. Oder sie richten im Atomkrieg die Einsatzzentrale fürs Dreyeckland dort ein. Platz genug ist. Riesige Fabrikhallen stehen zur Verfügung, große Generatoren sorgen dafür, daß im Ernstfall hier die Lichter nicht ausgehen.

Wir wollen kein Militär, wir wollen keinen Atomkrieg.

Zur Eröffnung der Friedenswoche 1983 kommen wir zum Isteiner Klotz. Wir wollen gegen das Militär demonstrieren, gegen die Vorbereitungen für einen neuen Atomkrieg. Wir fordern den Abzug des Militärs aus dem Dreyeckland und die Umrüstung des Isteiner Klotzes zu einer zivilen Anlage für die Bevölkerung. Denkbar wäre ein Museum für die Opfer der bisherigen Kriege. Vielleicht können aber einfach die Winzer des Markgräflerlands den Tunnel zur Lagerung ihres Weines brauchen….

Wir spinnen mit Schnüren und Wollen den Eingang des Militärgeländes ein. Wie in der Natur werden wir solange spinnen, bis Krieg und Gewalt auf unserem Planeten der Vergangenheit angehören werden. Wir werden den Moloch Militär solange einspinnen, bis er sich zum friedlichen Schmetterling verwandelt….“

Dieses Flugblatt führte zu einer Anzeige zweier Soldaten und des Verteidigungsministers. Die Lörracher Kripo (Herr Schweizer und Herr Tilly) ermittelten. Der Lörracher Ortsvorsitzende der Grünen Wolfgang Zschämisch und Dieter Baumert wurden von Richter Saksovsky als Zeugen vernommen, danach wurde Dieter Baumert als vermeintlicher Autor des Flugblatts ermittelt und der Lörracher Staatsanwalt Schmalen formulierte die Anklageschrift. Baumerts Verteidiger, der Schopfheimer Anwalt Siegfried Kähny, führte u.a. in seiner Stellungnahme aus:

ANWALTLICHE STELLUNGNAHME
(Auszüge)

…Im Vergleich dazu sind deutlicher und ungleich mehr hervorgehobene Äußerungen ähnlicher Art von der Rechtssprechung bisher nicht als Straftaten gem. Paragraphen 185 bzw. 130 StGB beurteilt worden.

Kurt Tucholsky, Dr. jur., schrieb in der verbreiteten Zeitschrift „Weltbühne“ vom 04.08.1931 unter Pseudonym im Artikel „Der bewachte Kriegsschauplatz“ den folgenden Absatz:

Da gab es vier Jahre ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sage ich Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.

Das deswegen gegen den verantwortlichen Redakteur Carl von Ossietzky, den späteren Friedensnobelpreisträger und KZ-Märtyrer, auf Antrag des damaligen Reichswehrministers durchgeführte Strafverfahren wegen Beleidigung der Reichswehr endete mit Freispruch; die Revision der Staatsanwaltschaft wurde mit der Begründung verworfen, daß der Ausdruck „Soldaten“ ein abstrakter Begriff sei und nicht speziell die Soldaten der Reichswehr meinen könnte.

….Es muß hier ausdrücklich betont werden, daß die Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland sich von Anfang an von dieser finsteren Seite des historischen Phänomens „Soldat“ distanziert hat. Sie geht von einer völlig anderen Zielsetzung aus als sämtliche früheren Streitkräfte der deutschen Geschichte (die nie vorher strikt defensiv waren), und bemüht sich dementsprechend, ein neues Soldatenbild aufzubauen. Leider wirken aber in dem überkommenen Begriff und Phänotyp „Soldat“ die Schatten der Vergangenheit noch immanent nach; und es kann durchaus legitim sein, diese Schatten zu beschwören, um auf mögliche oder drohende Gefahren aufmerksam zu machen. Gerade weil die Bundeswehr von einer völlig anderen Zielsetzung und einem anderen Soldatenbild ausgeht, sollte sie sich in ihren Soldaten bzw. im Herrn Verteidigungsminister als ihrem Oberbefehlshaber durch eine solche „Schattenbeschwörung“ nicht betroffen sehen können. …..“.

Der Lörracher Amtsrichter folgte dem Antrag des Verteidigers und lies die Anklage nicht zu, wogegen die Staatsanwaltschaft nun beim Landgericht Beschwerde einlegte. Die Beschwerde wurde im September 1984 als unbegründet verworfen, weil das Delikt ein Pressedelikt sei und dies nach sechs Monaten verjährt, jedoch muß der Angeschuldigte die eigenen Anwaltskosten selbst bezahlen, weil „ohne das während des Beschwerdeverfahrens eingetretene Verfahrenshindernis der Verjährung mit Sicherheit eine Verurteilung des Angeschuldigten zumindest wegen eines Vergehens der Volksverhetzung erfolgen müssen.“

BESCHLUSS DER 2. STRAFKAMMER DES LANDGERICHT FREIBURG

…. „Die gebotene und erforderliche Auslegung des objektiven Erklärungsgehaltes des Flugblattes des Angeschuldigten und die damit herausgestellte Gleichsetzung des Soldaten mit einem bezahlten Mörder ist für den – maßgeblichen – verständigen und objektiven Leser und Betrachter zweifelsfrei so zu verstehen, daß auch die Soldaten der Bundeswehr Mörder seien. Damit wird aber der einzelne Bundeswehrsoldat als das Achtung der Staatsbürger unwürdig oder unwert hingestellt und ihm dadurch letztlich das Lebensrecht in der Gemeinschaft abgesprochen…Das der Inhalt und Aussagewert des öffentlich verteilten Flugblattes einen Angriff auf die Menschenwürde auch der Soldaten der Bundeswehr verbunden mit der unmittelbaren Ausrichtung gegen diesen Teil der Bevölkerung beinhaltet und auch geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist nach dem Gesamteindruck des maßgeblichen Durchschnittsbetrachter unzweifelhaft und bedarf – worauf das Landgericht Koblenz sowie das Oberlandesgericht Koblenz a.a.O., zu Recht hinweisen-, keiner weiteren Ausführung, da „die Institution der Bundeswehr und mithin die Soldaten entgegen ihrem Verfassungsauftrag, nämlich die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten (Art. 87a GG), als friedensstörenden Institution und letztlich als praktisch verfassungswidriger „Bevölkerungsteil von Mördern“ abgestempelt und personifiziert werden“. Der Verweis auf die im Begriff des „Soldaten“ liegende Nichtabgrenzbarkeit des betroffenen Personenkreises ist bei Paragraph 140 Nr. 3 StGB fehl am Platz; bei dieser Vorschrift ist im Gegensatz zu den Beleidigungstatbeständen die nähere Bestimmbarkeit der betroffenen Personengruppe im Sinne einer Beleidigungsfähigkeit nicht erforderlich. Es genügt, wie vorliegend erfüllt, daß die Soldaten einen ohne weiteres abgenzbaren Bevölkerungsteil darstellen. Zusätzlich ist vorliegend ein konkreter Bezug und eine direkte innere Verbindung des Begriffs „Soldat“ mit den „Bundeswehrsoldaten“ der Bundesrepublik Deutschland dadurch bewußt hergestellt worden, daß die Flugblätter an einer ihrer äußeren Einrichtungen, nämlich einem Bundeswehrsanitätsdepot, verteilt worden sind. Eine Rechtfertigung des Vorgehens de Angeschuldigten scheidet ebenfalls aus. Der Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) endet nämlich dort, wo Straftatbestände erfüllt werden (Art. 5 Abs. 2 GG). Der von der Verfassung gewährte Spielraum für die Auseinandersetzung mit Worten duldet keine Erweiterung auf Beschimpfungen und böswilliges Verächtlichmachen. Auch kann sich daraus, daß mehrere oder viele einzelnen zu gemeinsamer Aktion zusammentreten, kein qualifizierter Umschlag im Sinne weitergehender Berechtigungen ergeben. Der Demonstrant besitzt im Vergleich zum Einzelnen, der für seine Meinung eintritt oder protestiert, keine Vorrechte. Damit stand einer Verurteilung des Angeschuldigten nach Auffassung der Kammer und der gebotenen Aktenlage nur das Verfahrenshindernis der Strafverfolgungsverjährung entgegen, weshalb es gerechtfertigt war, die notwendigen Auslagen beim Angeschuldigten zu belassen.

Brunckhorst, Preuster, Spiegelhalter
Richter am LG

Die ausführliche Dokumentation können Interessierte im Lörracher Stadtarchiv einsehen
(Anmerkung DEB 2002-11-18)