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Der verhinderbare Tod an Meningokokkensepsis/ Waterhouse Friedrichsen Syndrom des Michel Keller: Schläft das Gesundheitsamt?
ZITTIG-Interview mit der Leiterin des Lörracher Gesundheitsamtes Frau Dr. Dr. Anette Brandner
Erstveröffentlichung in ZITTIG 74/75 Juli/August 1985
von Dieter Baumert
ZITTIG: Frau Dr. Brandner, welche Aufklärung plant das Gesundheitsamt Lörrach über die Meningokokkensepsis und die Behandlung des Waterhouse-Friedrichsen-Syndroms? Gegenüber der Bevölkerung und gegenüber den Ärzten?
ANNETTE BRANDNER: Derzeit plant das Gesundheitsamt k e i n e Aufklärung über die Meningokokkensepsis und über das Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom. 1. Meningokokkeninfektionen treten in der Regel nur in den Wintermonaten auf. 2. Das Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom ist eine Todesdiagnose, d.h. diese Diagnose ist nur beweisbar durch Sektion. 3. Bei Infektionen von Meningokokken, Pneumokokken, Haemophilus, Staphalokokken, Streptokokken und vielen anderen Krankheitserregern k a n n es zu septischen Verläufen kommen (Meningokokkensepsis und Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom). Diese sind n i c h t auf die Krankheitserreger zurückzuführen, sondern auf eine Störung im Immunsystem des erkrankten Kindes. 4. Bei der extremen Seltenheit dieser Krankenbilder würde eine Aufklärung in der Bevölkerung nur Verwirrung stiften. Statistik 1983: Auf 5900 Kinderkrankheiten mit Hautausschlag kommt eine Meningokokkenerkrankung! 5. Eine Aufklärung der Ärzte ist nicht erforderlich. Die Meningokokkenmenigitis ist seit 1805 beschrieben und wird in jedem Studiengang behandelt.
ZITTIG: Wieso melden Ärzte nicht diese Krankheiten. Können Sie nicht die Ärzte auf ihre Meldepflicht hinweisen?
ANETTE BRANDNER: Die pauschale Feststellung, daß Ärzte diese Krankheit nicht melden, ist nicht richtig. Sogar die Meningokokkensepsis, die nicht eigens im Bundesseuchengesetz aufgeführt ist, wird in der Regel gemeldet. Selbstverständlich weist das Gesundheitsamt immer wieder auf die Meldepflicht der in Paragraph 3 des Bundesseuchengesetzes aufgeführten Krankheiten hin.
ZITTIG: Werden Sie in dieser Angelegenheit bei höheren Stellen vorstellig, daß diese Krankheiten meldepflichtig werden?
ANETTE BRANDNER: Die uns vorgesetzten Fachbehörden im Regierungspräsidium Freiburg und im Sozialministerium in Stuttgart sind im Detail über die gegenwärtige Seuchenlage von uns unterrichtet. Ob eine Änderung der Meldepflicht notwendig ist, entscheidet der Gesetzgeber.
ZITTIG: In der Schweiz werden wöchentlich alle gemeldeten Krankheiten genau aufgeschlüsselt in einem Informationsdienst veröffentlicht. Wäre eine solche Praxis nicht auch bei uns wünschenswert?
ANETTE BRANDNER: Auch in der Bundesrepublik werden wöchentlich alle gemeldeten übertragbaren Krankheiten aufgeschlüsselt und an das Bundesgesundheitsamt weitergegeben. Dort werden die Meldungen der Gesundheitsämter zusammengefaßt und im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht. Unser Meldsystem ist noch differenzierter: bestimmte übertragbare Krankheiten müssen sofort telefonisch der vorgesetzten Behörde übermittelt werden, andere werden dem Bundesgesundheitsamt direkt gemeldet. Alle Meningokokkenerkrankungen werden in der Meningokokkenzentrale Heidelberg zusammengefaßt. Ich kann nicht erkennen, inwieweit das Schweizer Meldesystem besser als das der Bundesrepublik ist.
ZITTIG: Wieviele Fälle gab es im Landkreis Lörrach seit Bestehen des Gesundheitsamtes?
ANNETE BRANDNER: Seit Jahren treten jährlich drei bis fünf Meningokokkeninfektionen auf, im Durchschnitt vier Erkrankungen im Jahr, regelmäßig in den Wintermonaten. Von Anfang 1979 bis Ende 1984, in den letzten sechs Jahren, wurden im Landkreis Lörrach 19 Meningokokkeninfektionen gemeldet, ein Todesfall im Jahr 1981, ein weiterer im Jahr 1982, unglücklicherweise zwei Todesfälle im Jahr 1984.
ZITTIG: Wie meinen Sie, kann man Eltern in den Prozeß der Krankheitserkennung einbeziehen?
ANETTE BRANDNER: In der Vergangenheit wurden vielfach Vorträge gehalten über die Früherkennung von Kinderkrankheiten. Leider sind bei diesen Terminen immer nur die Eltern anwesend, die aktuelle Probleme haben. Solche, deren Kinder derzeit noch gesund sind, zeigen wenig Interesse und werden nicht erreicht. In einer Pressenotiz im Jahre 1982 hat das staatliche Gesundheitsamt anläßlich des saisonalen Meningitis-Gipfel die Eltern aufgerufen, Kinder mit Fieber und unspezifischen Grippesymptomen sofort dem Hausarzt vorzustellen. Im Jahr 1984 war dieser Hinweis schon vergessen. Wir sind der Meinung, daß bei der Vielzahl von Kindererkrankungen, eine Aufklärung der Eltern umfassend und differenziert erfolgen muß und sich nicht auf die wenigen Fälle von Meningokokkeninfektionen erstrecken darf. Dafür ist unser schulärztlicher Dienst und die schulärztliche Sprechstunde in jedem Falle bereit.
Wir sind noch einmal davongekommen:
Erstveröffentlichung in ZITTIG Nr. 74/75
Juli/August 1985
K. Sommer
Stockach
03. Februar 1985
Liebe Frau Keller,
lieber Herr Keller!
Für Ihren Brief bedanke ich mich recht herzlich.
Ja, ich finde auch, Sie dürfen den Kampf nicht aufgeben. In unserer heutigen Zeit wird man gerne schnell entmutigt, das ganze Umfeld, die Medienpolitik usw. tragen dazu bei.
Wenn Sie eine Initiative planen, mit mir können Sie rechnen. Ich werde mitmachen, wo ich vermag.
Inzwischen habe ich mich bemüht, auf dem Gesundheitsamt vorzusprechen, aber noch nichts erreicht, da immer geschlossen war, wenn ich da war. Auch stehen keine Öffnungszeiten an der Türe. Dieses Amt hat aber nur stundenweise auf, da die Hauptstelle in Konstanz ist. Da ich die kommende Woche zu meiner schwerkranken Mutter reisen muß und erst am Wochenende wieder zurück bin, wird es mir erst übernächste Woche möglich sein, die Sache weiter zu verfolgen.
Aber ich verspreche Ihnen, daß ich mich weiterhin bemühen werde. Im Moment kenne ich noch niemanden, dem es so wie uns ergangen ist.
Viele Grüße
Ihr K. Sommer mit Kindern
Hannelie Mayer
Stockach 2
Liebe Familie Keller,
Mit großer Erschütterung und Teilnahme las ich im Südkurier einen Bericht der mit Ihrem Leid bekannt machte. es ist auch kaum ein halbes Jahr her, daß wir dem gleichen Schicksal durch ein Wunder entgingen. Unsere Ferientochter, deren Mutter auf Reisen, deren Vater vor einem Jahr ertrunken war, erkrankte ebenfalls ganz plötzlich. Um 18 Uhr hatte sie Fieber und am Morgen ebenso. Die Ärztin glaubte an Grippe, Ich sah wohl vorher die blauen Fleckchen, maß denen aber keine Bedeutung bei – weil ich gar keine Ahnung hatte. Ehe die Ärztin uns aber verließ, so etwa um 9 Uhr, deckte sie das Kind ab und dann ging alles sehr schnell, Krankenwagen, Krankenhaus, Ärzte und Schwestern. Das 13jährige Mädchen wurde gerettet, später wäre es zu spät gewesen. Es folgten einige schwere Tage und einige Wochen Krankenhaus.
Wir sind von unendlicher Dankbarkeit erfüllt, daß diese Familie nicht noch ein Leid tragen mußte und ich denke mit Zittern an diese Tage zurück.
Ich mußte dann aber auch feststellen, daß wirklich niemand von dieser Krankheit weiss. Das ist ja nun auch ihr Anliegen, daß die Öffentlichkeit besser informiert werde. Ich finde das eine wichtige Sache und glaube das sagen zu dürfen, da wir zu den unmittelbar Betroffenen zählen.
Ich wünsche ihnen viel Kraft und Mut für Ihr weiteres Leben und Ihre Aufgaben.
Herzliche Grüße
Hanneli Mayer
Ps. Ich stamme aus Efringen-Kirchen
AN DIE REDAKTION
ZITTIG Nr. 76/77 September/Oktober 1985
(Die Letzte!)
JULI-ZITTIG: DER VERHINDERBARE TOD DES MICHEL KELLER / MENINGOKOKKENSEPSIS
Liebe Leute,
auch von Medizinern kann man nicht mehr verlangen, als in ihrem Rahmen steht: sie sind nur Akademiker und als solche wie jeder von uns anfällig für Selbstgefälligkeit. Dies drückt sich dann darin aus,
1. daß Patienten zunehmend als „Fälle“ betrachtet werden (was in allen helfenden Berufen vorkommt und an sich noch nicht verwerflich ist),
2. daß Fortbildung und Supervision nicht für nötig befunden wird und
3. daß Kritik als anmaßend und ungerecht empfunden wird.
Dagegen hilft nur zweierlei: zum ersten eine demokratische Gesundheitspolitik, die bereits während der Ausbildung einsetzt und die wirtschaftlichen Privilegien dieses Berufsstandes etwas in den Hintergrund drängt und, falls dies nicht auf Anhieb funktioniert, zum zweiten eine demokratische Kontrolle durch die Öffentlichkeit, so wie Ihr es in hervorragender Weise gemacht habt.
PS. Eure Schlamperei im Satz (Brandner-Interview) ist eine echte Zumutung!
Dip.-Päd.
Ronald von Renouard
Schopfheim
Leserbrief April 2004, per E-Mail
Hallo!
Ich habe den Bericht über die Meningokokkensepsis
gelesen und weiß nicht recht, wie ich darüber urteilen soll. Meine Mitbewohnerin und langjährige Freundin ist letztes Jahr mit 20 Jahren am Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom gestorben. In seltenen Fällen betrifft diese Krankheit also auch noch Jugendliche oder Erwachsene. In unserem Fall hat das Gesundheitsamt nicht geschlafen, sondern einen Artikel in der lokalen Tageszeitung veröffentlicht, in dem alle Personen, die ein paar Tage vor dem Vorfall mit meiner Freundin in Kontakt waren, dazu aufgerufen wurden, zum Krankenhaus zu kommen und Antibiotika zu nehmen. Allerdings wurde die Krankheit im Zusammenhang mit weiteren Meningitis-Fällen genannt und nicht speziell als Meningokokkensepsis bezeichnet.
Die beiden städtischen Krankenhäuser hatten vorher noch keinen Waterhouse-Friedrichsen-Fall gehabt, wussten aber scheinbar doch sofort, worum es sich handelte. Meiner Freundin wurden sofort Antibiotika verabreicht und sie wurde ins künstliche Koma versetzt. Trotzdem ist sie wahrscheinlich zu spät ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Antibiotika schlugen einfach nicht an. Zwischen dem Auftreten der ersten Symptome, in ihrem Fall Übelkeit und hohes Fieber, und ihrem Tod vergingen keine 24 Stunden. Die Petechien, die erst eine eindeutige Diagnose zulassen, traten erst ca. 12 Stunden nach den anderen Symptomen auf.
Ich möchte Ihren Artikel nicht weiter beurteilen. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass er mich bewegt hat, weil ich selbst von einem solchen Fall betroffen bin und ich wollte Ihnen mitteilen, dass diese Krankheit nicht nur bei Kindern auftreten kann, was den
Informationsbedarf eventuell noch vergrößert.
(Name der Redaktion bekannt)