DEB, 7/1979

Die letzten Wochen des Lädeli
(bis 31.12.1992)

Lädeli – letzte Tage
29. August 1992 bis 09. September 1992

Samstag 29. August 1992

Nachts geträumt: eine Melodie mit dem Text von Sri Cinmoy – Love – Devotion and Surrender. Aufgewacht und gedacht, das muss ich anhören, das aus auf der gleichnamigen Platte von John McLaughlin und Carlos Santana. Abgespielt und nicht gefunden.

Sonntag 30. August

Am nächsten Tag. Sonntag – wieder gesucht und gesucht aber nicht gefunden. Gibt es die Melodie nur in meinem Kopf?

Klar geworden, dass ich am Ende des Jahres das Lädeli aufgebe. Tutti, vorbei.

Als ich es Daggi erzähle, Verwirrung, Erstaunen. Ich sei ein Joker, sagt sie. Tage später fragt sie mich, ob ich wieder Stimmen höre. Nein, dieses Mal nicht, obwohl ich es schon bedaure, dass ich dem Phänomen nicht auf den Grund gekommen bin. Gibt es paranormale Fähigkeiten, die uns ermöglichen die Gedanken der Anderen klar wie im Radio zu empfangen? Meine damaligen Erlebnisse weisen in diese Richtung.

Montag 31. August

Ein junges, strahlendes blondes Mädchen kommt. Ich kenne sie nicht, ich werde sie nicht kennen lernen. Aber wir freuen uns aufeinander und sie kauft einen Bleistift.

Die junge Madicio-Bosch kommt voller Angst und Sorgen, was soll sie tun nach der Schule, die Eltern drängen, doch sie braucht Zeit.

Angelika bestellt ein Luftschloss, was es nicht gibt und eine Auseinandersetzung mit einem Islamgelehrten.

Dienstag 01. September

Antikriegstag. Conrad träumt von alten Hausbesetzerzeiten, Polit kündigt wieder diese an. Ein Schmierfink, aber Vorsicht, ist das nicht Nazi-Sprache? Aber wie sollen wir einen wie ihn nennen, der so sorglos mit der Wahrheit umgeht, Menschenwürde so verachtet wie Polit. Soll ich zur Gewerkschaft gehen – zum Antikriegsritual? Nein, ich weiss nicht, wie den Krieg zu beenden. Abends werden sie dann auf den Gegner, die Verbündeten einhauen, die würden in Kommunalpolitik versacken, aber gleichzeitig schreien sie doch immer Zeter und Mordio, wenn es um die Entmilitarisierung der Betriebe geht.

Mittwoch 02. September

Georg ist begeistert, über die eigene Macht, wie er Vorgaben dem Gericht gibt, welche Möglichkeiten er als kritischer Journalist hat,
Ohrfeigen auszuteilen.

Bei Krishnadas auf dem Schirkenhof. Was macht sein Herz so leiden? Michael Vetters Zeichnungen sind schöne Momentaufnahmen des Lebens. Tag für Tag, jeden Tag einen Strich oder mehr, ein Blatt.

Donnerstag 03. September

Witzige Crew da gewesen, ein Lustiger im Lehnstuhl, beim Gehen zwinker ich ihm zu – kumpelhaft?

Abends bei Hommage an John Cage in Weil. Es ist das kulturelle Ereignis, aber die Stimmung ist sakral oder richtiger: museal. Dabei sind etliche Jugendliche und Kinder da, aber sie haben schon ihre Spontaneität verloren, witzige Töne nach Noten, die Gesichter ernst. Diese falsche Sozialität, gut zu sehen, wie es ist, gemieden zu werden, zufällig nicht gesehen zu werden. Oh Du arme Kultur. Es ist viel Falschheit in der Luft.

Ja sie haben noch nicht den Witz des Meisters, die Herren Kammermusiker. Und das Publikum? Trauermienen, sakrale Ergriffenheit statt lachen, Spontaneität und Miracel. Gott, wie viele Lichtjahre ist da Michael Vetter davon entfernt.

Freitag 04. September

Jo Losch bedankt sich in Zeitungsanzeige für Liebe etc: Alle, die uns in Gedanken, Worten und Liebe auf diesen Weg ohne ihn begleiten, danken wir. Und:

Stirb früher als ich, um ein weniges früher.
Damit nicht du
den Weg zum Haus
allein zurückgehen musst

Rainer Kunze

Florian kommt im Regen vorbeigeloffen, schaut zweimal zum Laden. Ist jemand da, das Licht ist auch, ist niemand da?

Meiner Mutter unser Kommen angekündet, sie Jammer über teuren Heckenschneider, der Sohn meines Volksschullehrers der ersten beiden Klassen, und in ihren Worten keine Freude über mein Kommen. Bereue fast, Kommen angesagt zu haben.

Samstag 05. September

Günter Paust vom Music Ensemble of Benares schickt die Konzertliste. In der Liste der Auftrittsorte ist auch Lörrach genannt, Binzen. Bis bald schreibt er in dem Brief an Frieder Friedrich. Die Stadt hängt voller Plakate für das concert, lieblos gestaltete Plakate. Ins Lädeli wurde keines gebracht. Hatte ich doch den ersten Lörracher Auftritt organisiert (im Rahmen der 2. Lörracher Kulturtage).

Angelika Bauer und das Ehepaar Masche bestellen beim Kaufen Bücher, wollen aber eigentlich anderes – Zuwendung.

Theo von Möller lässt einen Brief überbringen, kündet sein Kommen für Dienstag an.

Montag 07. September

Das John Cage-Konzert in Weil – diese Hommage an ihn – geht mir immer wieder im Kopf rum. Was war es für eine widerliche Atmosphäre.
Der grosse Anarchist und Zen-Virtuose Cage, geehrt museal von einem Premierepublikum, klassisch verbildet. Ich spüre förmlich die Ablehnung. Ursel Kaltenbach, Kundin, Aktivistin früher grüner Tage, erste grüne Stadträtin, Nachbarin und Bekannt, fällt die Klappe, als sie mich sieht. Der grosse Kunstförderer der Avantgarde Dr. Jessen erteilt mir mental einen Handkantenschlag und nimmt mich nicht zur Kenntnis, während Frau Jessen traurig-böse-verloren an mir vorbeischaut. Und das waren vor etlichen Jahren die eifrigsten Besucher unserer Ausstellungen. Was ist passiert, was habe ich ihnen getan, was haben sie in der Welt getan, dass sie so hart geworden sind.

Nur der Holzsäger, Gärtner, Waldorfschulmitgründer, freut sich, grüsst herzlich, amüsiert über eine Einladung, die ihn mit Radieschen in Verbindung brachte. Freundlicher Blick von Jürgen Scharf, der dann auch in seinem Südkurier-Artikel die anarchische
Verbindungslinie mit Beuys an den Beginn seiner Betrachtungen stellt. Die Frau, die sich brüstet, demnächst im Kulturbüro Lörrach zu arbeiten, verbreitet wieder ihre düstere Atmosphäre um sich. Bildlich hat das Helenwein im Bild des kaffeschlürfenden Zeitungslesers eingefangen, so wirkt diese kranke Dame auf mich.

Am Freitag spontan zum Essen bei Volker Königsbüscher eingeladen. Die Frau und Kind war auch da, auch der Kollege aus Volkers Computerfirma, der demnächst seiner Familie nach Berlin nachfliegen wird.

Ich löse bei den Menschen immer Rechtfertigungszeremonien aus, dann wird entschuldigt und gelogen, der Laden läge halt gar nicht zentral, abseits, achja, ich komme vorbei und bestellt zwei Bücher, und. Ist Wahrheit so schwer, Erkenntnis so fern. Heucheln sie nur mich so an und sie sie ehrlich zu sich selber oder lächeln sie sich an und zeigen sie uns ihr Gesicht?

Daggi fragt mich, ja kannst Du das noch entziffern, was du das schreibst. Sauklaue sagt sie,.. geben die Melodie frei, der Blick ist offen, das Tal hat Ausgängen.

Der Entschluss wegzugehen, hat bei Daggi Leere erzeugt. Leere, wie über den Wolken. Sie hat Angst davor, ist verwirrt, ich aber zeige ihr den SATORI-Charakter dieser Leere. Platz zum Leben.

Platz zum Denken.
Platz zum Nichtdenken.
Platz für Kreativität.
Platz für Helfer
Mother’s little helper

Dienstag 08. September

Kann er nicht nein sagen, will er übers Ohr gehauen werden, kann er nicht zugeben, dass er keinen Pfennig hat, arm wie eine Kirchenmaus ist. Ja, was kann er eigentlich?

Habe ich mich jetzt überreden lassen zum Kauf eines Füllfederhalters und eines Telefaxes oder was habe ich? Ich wollte es doch. Aber Du hast doch gar kein Geld. Aber vielleicht bekomme ich ja Geld. Aber woher denn. Ja woher denn? Die Frage ist gut, doch seit Jahren fehlt mir die Antwort. Die Antwort.

Arbeiten.
Arbeiten.
Füller Füller Füller Füller Füller Füller

Schüler Lehrer Schüler Lehrer Beziehung Schüler Lehr Schüler-Lehrer-Verhältnis Schüler-Lehrer-Verhältnis Schüler-Lehrer Werk Werk Werk Werkverzeichnis Werkverzeichnis Werkverkzeichnis. Stage of the art
Stage of the art Stage of the Art.

Mein Bruder schickt mir einen VR-Scheck über Miete über 2100 DM. Unfreundliche Worte für Hilfe, kann sich nicht mehr daran erinnern einen Bruder zu haben und ähnlichen Schmarren. Brief findet sich im Briefordner. Antworte und bedanke mich sofort. Erwähne noch Friedels Gutachten und meinen Wunsch, dass Daggi in meinem Todesfall mein Erbteil bekommt.

Mittwoch 09. September

Die Maulwurfsfrau aus dem Hotzenwald kommt und bringt mir ein neues Prospekt. Sie sagt: Wenn ich hier bin ist es so, als müsste ich den Atem anhalten.

Warum?
Wenn ich das wüsste, würd ich Dirs sagen.
Und die Erde hielt den Atem an.

Was sagt das in der Körpersprache, in der Sprache der Seele – den Atem anhalten, die Welt?

Erschrecken, Staunen, völlige Achtsamkeit, was noch.

Immer wenn ich kommen, sagt sie, bist Du allein.

Aber wenn Du bei mir bist, bin ich doch nicht allein.

Aber wenn Du bei mir bist, bin ich doch nicht allein.