Unterschriftensammlung gegen Paragraph 218

Säckingen, Münsterplatz, 1971

Unterschriften-Sammlung
rechts: Thomas Herberg

Unterschriften-Sammlung
Von links nach rechts:
Claudia Heinrich, Andrea Heinrich, xyz, Mike Benck

Erklärung des SOZIALISTIEN ZENTRUMS SÄCKINGEN UND DES CLUB LIBERTAS RHEINFELDEN

CLUB LIBERTAS, i. a. eberhard freter
SOZIALISTISCHES ZENTRUM SÄCKINGEN
i.a. dieter baumert
31. März 1971

mit einem brief an den den justizminister schliesst sich der katholikenausschuss des dekanats säckingen den gegnern eines modernen sexualstafrechtes an. mit einem ungewöhnlichen einsatz hat sich diese gruppe auf verschiedenen ebenen dieses themas derart angenommen, vorallem moralische bedenken angemeldet, dass man mit fug und recht behaupten kann, dies steht weder in einem verhältnis zur problematik noch zu den wirklichen absichten der bundesregierung. langsam aber sicher wird die geplante reform des sexualstrafrechts zu einem ideologischen popanz aufgeblasen.

man wird den verdacht nicht los, als ob kirchen die politiker als hebel benutzen wollen, um mit problemen in eigenen reihen fertigzuwerden. In dem brief an den justiziminister wurde deutlich um was es geht: spezifisch religiöse moralvorstellungen sollen zum leitbild des gesetzgebers gemacht werden. dabei versucht man schon seit kant (philosoph 1724-1804) recht und moral, legalität und moralität scharf voneinander zu trennen und das recht nicht derart zu mißbrauchen, dass „sittlichkeit“ durchsetzt. Bislang blieb allerdings alles schön ineinander vermischt.

in dem brief heisst es: „ heute, da wir noch die strengen gesetze haben, werden schon die schamlosen, die frau erniedrigenden und schmutzigen darstellungen allüberall allen kindern, öffentlich gezeigt. straflos!“

davon dass es für frauen wesentlich erniedrigender ist, heute noch nicht über ihren körper frei bestimmen und verfügen zu können, wird nicht gesprochen. wieder einmal müssen kinder für die aufrechterhaltung alter überkommener moralvorstellungen herhalten.

bisher zwingen gesetzgeber und, mit an vorderster front, die kirche schwangere kinder zu kriegen oder sie stempeln sie zu mörderinnen. wenn sie sich der prozedur einer illegalen abtreibung unterziehen. jährlich werden bei uns etwa 1 000 000 kinder geboren und tausende der mütter dieser mütter sind schulpflichtige mädchen. jährlich treiben 500 000 bis 2 mill frauen ab und wieder sind es tausende von schülerinnen, die sich gezwungen sehen, eine unverwünschte schwangerschaft abzubrechen. wenigstens jede dritte frau begeht nach den buchstaben des gesetzes und nach den worten der kirche einmal im leben einen mord!

statt für den problemlosen kauf der pille für jedermann einzutreten, besseren und voralledingen mehr aufklärungsunterricht zu fordern und für die völlige freigabe der schwangerschaftsunterbrechung einzutreten, wirft sich die kirche mit allen mitteln („ähnlich wie in der nazizeit: damals euthanasie, heute mord an den ungeborenen, damals tod den „unwerten“, heute tod den unerwünschten. mord bleibt mord…“) gegen eine liberalisierung des sexualstrafrechts.

die kirche redet von der schmutzlawine pornographie, jedoch nicht von der schmutzlawine hunger, armut, krieg und deren ursachen ausbeutung und unterdrückunge, sie redet von der zerstörung eines volkes durch pornographie, obwohl erwiesen ist, dass z.b. in schweden seit der freigae der pornographie die anzahl der sittlichkeitsverbrechen rapide gesunken ist.

falls es einen zerfall geben sollte, dann lediglich einen einer kurzsichtigen, dogmatischen, sexualfeindlichen kirche.

würde gerhard jahn den vorstellungen der katholischen kirche folgen, dann wäre es besser, man liese alles so wie es bisher war, schlimmer noch, man ginge etliche schritte zurück.

Erzbischöfliches Dekanat Säckingen
Der Vorstand des Katholikenausschusses
7887 Laufenburg (Baden), den 26. Mai 1971

An den Club Libertas, Rheinfelden
Und das Sozialistische Zentrum Säckingen
z.H. des Herrn Dieter Baumert
788 Säckingen

Sehr geehrter Herr Baumert !

Mit angeschlossener Zuschrift antworten wir auf Ihren Leserbrief in der Badischen Zeitung vom 2.4.71. Da wir nicht sicher sind, daß die Zeitung sie ungekürzt veröffentlicht, lassen wir sie Ihnen auch direkt zukommen.

Mit freundlichen Grüßen !
Franz J. Himmelheber

Das Sozialistische Zentrum, Säckingen und der Club Libertas, Rheinfelden, antworteten in einem Leserbrief – veröffentlichte in der Badischen Zeitung vom 2.4.1971 auf eine Initiative des Katholikenausschusses des Dekanats Säckingen, gegen eine Freigabe der Pornographie und gegen eine Liberalisierung der Abtreibung. Die Vorwürfe die in diesem Leserbrief erhoben werden, sind nicht neu:

Die Kirche ist rückständig, engstirnig, dogmatisch, kurzsichtig und sexualfeindlich. Es ist selbstredend, daß jedermann, der dieser Kirche angehört und sich aktiv in ihr betätigt, ebenfalls mit diesen kollektiven Kriterien belegt wird, also auch der Katholikenauschuß.

Einige Briefe an maßgebende Inhaber staatlicher Institutionen, ein Schritt an die Öffentlichkeit, werden als, Einsatz von ungewöhnlichem Umfang dargestellt, der in keinem Verhältnis zur Problematik und zu den wirklichen Absichten der Bundesregierung stehe. Abgesehen davon, daß mit dieser Polemik, Bürgern dieses Staates, die von ihrem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch machen, bescheinigt wird, sie seien kurzsichtig und somit dem Fortschritt hinderlich, erstaunt die Informiertheit des Sozialistischen Zentrums und des Clubs Libertas, denn sie allein kennen die tatsächlichen Absichten der Bundesregierung und natürlich auch die wahre Problematik der Dinge. Meinen andere jedoch auch, eine Problematik zu erkennen, so werden sie mit wehleidigem Winken in die Ecke verwiesen, denn die Erkenntnis der Wahrheit ist monopolisiert bei solchen theoretisierenden Gruppen, die sich die Eigenschaften „liberal und sozialistisch“ zuordnen.

Immerhin hat sich der Katholikenausschuß mit einem existierenden und einem möglichen Gesetzesentwurf kritisch auseinandergesetzt. Die Verfasser des Leserbriefs erwecken jedoch den Eindruck, sie hätten den bestehenden Entwurf und den Inhalt des möglichen Entwurfs kritiklos entgegengenommen. Dies freilich ist zu verzeihen, denn beides ist neu. Neu aber heißt modern; modern aber heißt richtig; wozu also noch nachdenken?

Es zeugt nicht von der Informiertheit und schon gar nicht von Objektivität, wenn geäußert wird, die Kirche benutze die Politiker, um mit den Schwierigkeiten in den eigenen Reihen fertig zu werden.

Offenbar hält man sich hier an die bewährten Vorbilder schlechter politischer Regime. Die Kirche und ihre Gläubigen wissen sehr wohl um ihre Schwierigkeiten und sie sind dankbar für jeden Hinweis, der sie einen Schritt weiterbringt. Ihr jedoch eine derartige Handlungsweise zu unterstellen, heißt, ihr Dummheit und Mangel an Denkvermögen zu bescheinigen und dies ist – mit Verlaub gesagt –, eine Beleidigung.

Im übrigen erstaunt es, wenn die Verfasser des Leserbriefes vorwerfen, die Kirche erlaube sich, moralische Bedenken mit in die Waagschale zu werfen. Wir waren immer der Ansicht, es sei mit eine der Hauptaufgaben der Religion, moralische Aussagen zu machen. Sie fordern scharfe Trennung von Moral und Recht. Wir stimmen ihnen teilweise zu. Nicht alle christlichen Moralvorstellungen sollen und können durch Gesetze sanktioniert werden. Wir sind jedoch der Meinung, daß es sich beim Schutz des werdenden Lebens und bei der Eindämmung einer Schmutzflut entarteter Sexualität nicht um rein christliche Moralvorstellungen geht, sondern um allgemein menschliche Wertvorstellungen, deren Nichtbeachtung die Grundlagen eines menschlichen Zusammenlebens untergräbt.

Kein Mensch – auch nicht innerhalb der als rückständig geschmähten Kirche – kann Gegner einer natürlichen Sexualität sein, doch wehren wir uns dagegen, einen totalen Sexualisierung mit all ihren Perversionen und Brutalitäten Tür und Tor zu öffnen. Wenn das Sozialistische Zentrum und der Club Libertas jede Scheußlichkeit, dargeboten aus Skrupellosigkeit und aus Profitgier, der Würde des Menschen als angemessen und für die freiheitliche Entwicklung der Gesellschaft als förderlich ansieht, so sind wir es, die unsere Gegner nach dem Grad ihrer Verantwortung fragen müssen.

Es wird gesagt, mehr als durch schamlose und schmutzige Darstellungen werde die Frau dadurch erniedrigt, daß sie nicht frei über ihren Körper verfügen können. Wir empfehlen Ihnen, sich bei medizinischen Fachleuten genauer darüber zu informieren, ob man ein Embryo einfach als Teil des Körpers der Frau bezeichnen kann. Nein, hier hat ein neues menschliches Leben begonnen und der werdenden Mensch hat ein vorrangiges Recht auf Leben.

Wer soll nach Ihrer These bestimmen, von wann ab, es sich nicht mehr um ein Körperteil der Frau handelt ?

Es wird der Kirche vorgeworfen, sie rede von der Schmutzlawine Pornographie, jedoch nicht von Armut, Hunger, Krieg und deren Ursachen. Jedermann weiß – und das sollte auch der Club Libertas und das Sozialistische Zentrum wissen – daß die Kirche nicht nur von den Dingen redet, sondern schon seit einiger Zeit, wo noch kaum auf dieses Problem klar gesehen hat, durch die Werke Miseror und Adveniat Taten aufzuweisen hat. Dürfen wir fragen, was die Verfasser des Leserbriefes außer Reden aufzuweisen haben?

Zum Beweis der Richtigkeit der Behauptung, Freigabe der Pornographie reduziere die Sittlichkeitsdelikte, wird auf Schweden verwiesen. Haben die Verfasser des Leserbriefes tatsächlich noch nichts von dem kleinen Trick gehört, mit dem man die Häufigkeit der Delikte herabsetzen kann ? Man schafft einfach gesetzliche Tatbestände ab, also geht die Zahl der Delikte zurück, was zu beweisen war.

Es liegt uns fern, andere Meinungen zu verteufeln. Wir sind auch keine Prediger des Tode. Wir stehen aber kritisch jenen Kräften gegenüber, die zwar andere Meinungen als rückständig bezeichnen, dafür aber selbst aber als alleinige Erkenner und Hüter jeglicher Wahrheit betrachten.

Brief SZS