Säckinger Miniaturen

I. Werner

Von Dieter E. Baumert
2006-01-23, überarbeitet am 15. Oktober 2013

Ich kann ohne Brille kaum sehen und ich kann das Geschriebene kaum verstehen.

Behüt Dich Gott
Es wäre so schön gewesen
Behüt Dich Gott
Es hat nicht sollen sein.
Victor von Scheffel

Werner Kiefer

"Das ist ja wie das Nachtlager von Granada." Die Bemerkung meiner Mutter brachte Werner so heftig zu lachen, dass wir die Geschichte immer wieder gerne hörten. Nach irgendeiner Fete übernachtete bei uns in der Wohnung eine ganze Gruppe junger Menschen im Wohnzimmer, und als meine Mutter hereinschaute, fiel dieser Ausspruch. Es war wohl die Leichtigkeit der Reaktion meiner Mutter, die Werner zum herzlichlaut-strahlenden Lachen brachte.

Dies ist mir geblieben, und wenn ich die vollen Lippen von Belmondo sehe, denke ich am Werner Kiefer. In Vaters ehemaligem Bauingenieurs-Büro machten wir die Beratung für Kriegsdienstverweigerer, und Werner war einer der Berater. Im Café Busch trafen wir uns am frühen Abend und tranken im Kreis der Freunde Heidelbeerwein. Von den Wänden herab lachten uns die Zeichnungen des grossen deutschen Humoristen an, und wir debattierten über das Leid der Welt.
Im Gasthof Bahnsteig Fünf tranken wir unser Viertele, und im Restaurant Windmühle aßen wir abends Schnecken in Kräuterbutter. Im Café des Kaufhauses Groß & Hammer debattierten wir über Liebe, und Werners Freundin Gertrud klagte mir ihr Leid. Die beiden hatten eine richtig feste Beziehung und lagen sich immer in den Haaren. Konnte ich ihr helfen? Vielleicht. Aber wohl eher nicht.

Jahre später brachte er einen älteren Freund aus Luxemburg mit, und wir landeten zusammen im Bett. Eigentlich war es kein Bett, sondern dem ausgezogenen Sofa unseres Wohnzimmers. Als meine Mutter uns zusammen sah, stellte ich keinen Missmut fest. Wir hatten nicht gefickt, mit Männern habe ich immer nur geschmust und die Lust des männlichen Glieds gefeiert.

Als ich ihm mal etwas von mir und meinen Ideen, Vorstellungen erzählte, gähnte er gelangweilt und zeigte sein Desinteresse. Ich hatte nichts gegen Sex mit ihm, aber dieses Desinteresse störte mich, und ich ließ die Freundschaft einschlafen. Einmal kam er nach Lörrach. Ich hatte gerade Judith kennen gelernt und schwärmte ihn von meiner Liebe vor, und er meinte unzufrieden:
"Muss ich mir jetzt anhören, wie glücklich Du bist?"
Das war das Ende der Freundschaft mit dem Mann aus Luxemburg. Pardon, sind Sie der Graf aus Luxemburg, sang Gitte.

Für mich passt es, dass Werner diesen schwulen Mann mitbrachte. Und für mich war es aber kein Zufall, dass Werner sich später dem arabischen Sprachraum zuwendete, arabisch lernte und für mich in Arabien verschollen war. In Heidelberg besuchte ich ihn mehrere Mal – er lebte in der Brunnengasse-Wohngemeinschaft, und ich kam zu Karl Mann von der freeclinic und ließ mich von ihm von der Bundeswehr krankschreiben. Jahre später besuchte Werner uns in Lörrach. 1979. Er war auf dem Weg nach Marokko und wollte für mich Waren einkaufen. Ich entnahm Judiths Geldbeutel zweihundert, Mark ohne sie zu fragen, und gab sie ihm weiter. Eduardo, Judiths Mann, kam vorbei. Werner war erstaunt.
"Ist er ein Junkie?"
Nein, das war er nicht, sondern Manager einer der bekanntesten Firmen des Dreyecklands.

Werner brachte viele schöne Sachen aus Marokko mit, eine Jacke, die ich noch heute trage. Teekannen und alles konnten wir ab 1980 im Lädeli in der Kirchstrasse verkaufen.

Noch einmal kam ein Lebenszeichen von ihm. Ein Freund aus Heidelberg schickte uns sein Buch aus Arabien. Wolf vom sozialen Arbeitskreis aus Lörrach kaufte es, und Jahre später las der Autor auf der neu geschaffenen Kinderbuchmesse daraus vor.

Werner dagegen ist verschollen, und meine Versuche, ihn in Heidelberg zu finden, misslangen. Ab und an fragt Roland Strittmatter:
"Weißt Du eigentlich die Adresse von Werner Kiefer?" und ich muss verneinen. Jahrelang war ich ein wenig eifersüchtig auf dieses Insistieren von Roland. Immer nach Werner fragen. Aber es war richtig. Auch ich frage mich – Roland ist inzwischen auch in den ewigen Jagdgründen – und die Welt: Werner wo bist Du?