DEB, 7/1979

Marx Sisters

Flogen die Marx-Brothers immer im Anzug und Krawatte?

Oder: Die neuen Kleidervorschriften der Swissair.

Dieter Emil Baumert, August 1993

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Schweizer Luftfahrtgesellschaft Swissair trauten ihren Augen nicht: Die Personal-Weisung PW – 9323 vom 15. Juli 1993 der Geschäftsleitung in Balsberg fordert Kleidungsvorschriften ein, die sie an vergessen geglaubte Modekonventionen aus den muffigen fünfziger Jahre erinnerten.

Da können international angesehene Modeschöpfer wie Georgio Armani noch so modische Jeans präsentieren – der Altherrenclique in Balsberg ist der blaue Stoff, aus dem einmal der Traum der Gleichheit gewaschen wurde, ein Dorn im Auge. Der Herr Mitarbeiter der Swissair – und dies gilt auch für alle Tochtergesellschaften, wie zum Beispiel die erfolgreiche Basler Crossair, die sich um ein modernes Erscheinungsbild bemüht – hat im „Anzug oder Jacke mit Hemd, Krawatte, langen Hosen (keine Jeans) sowie entsprechenden Schuhen“, am Flughafen-Gate zu erscheinen. Damit sind wohl auch die Zeiten von Turnschuhen für die sportlichen und Birkenstock für die gesundheitsbewussten Mitarbeiter endgültig vorbei. Während in der Business- und der ersten Klasse das Reisen nur mit Krawatte und Jacke am Körper erlaubt ist, müssen die Mitarbeiter, die mit der Economy Klasse fliegen, Jacke und Schlips nur im Handgepäck mitführen. So werden also in Zukunft freundlich grinsende Stewardessen dezent in die Reisetaschen ihrer Kollegen sehen müssen um dort, zwischen Spiegel, Unterwäsche und sonstiger Intimvorräte, die geforderte Krawatte und die Jacke zu erspähen. Die Herren der Personal und Organisation der Swissair könnten natürlich auch Krawatten und Jacken mit Metallstreifen an ihre Mitarbeiter ausgeben – so könnte dann der Mann vom Security-Check am Bildschirm über das Einhalten der neuen Swissair-Kleiderordnung wachen.

Was dem im Urlaub oder auf Dienstreisen befindlichen Swissair-Mann nicht erlaubt ist, kann im Zuge der Gleichberechtigung (schließlich haben inzwischen, wohlmeinenden Warnern aus Männerbünden zum Trotz, auch kleine Kantone der Schweiz ihren Frauen das volle Wahlrecht eingeräumt) auch Frauen das Tragen von Jeans nicht erlaubt werden. Sie dürfen auch keine kurze Hosen, Leggins oder „Badekleid ähnliche Oberteile“ tragen, nur „Kleid, Rock oder lange Hosen und passendem Oberteil sowie entsprechenden Schuhen“ zählen für die Modemuffel aus Balsberg zur „angemessenen Kleidung“.

Mit den neuen Kleidervorschriften erhofft sich Juerg Marx von der
Swissair, dass die emotionsgeladenen Diskussionen über Kleiderzwänge vom Tisch sind. Das, was bei amerikanischen Airlines schon lange Usus ist, soll jetzt auch bei den europäischen Luftfahrtgesellschaften konservative Konvention werden. So wird dann der zukünftige europäische Luftfahrtsverband den Geschäftssitz im freiheitlichen Amsterdam haben, für die Sicherheit werden die lebensfreudigen Pariser sorgen und die geldschweren Zürcher dafür, dass die Modevorstellungen der Finanzmetropole Zürich europaweit Standard werden.

Nur die Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren müssen sich an die neuen Zwänge nicht halten. Bei ihnen genügt, so der Mann der Swissair mit dem Namen jener Komiker-Brüder, die nicht immer in Anzug und Krawatte auftraten, „saubere Kleidung und Erscheinung“, was wohl heißen soll: der Junge soll sich nicht in der Nase bohren, das Mädchen soll frisch gewaschene Haare haben und beide nicht als modische Rapper durch die Flugzeugkorridore stromern – mit Rollschuhen und Walkman versteht sich.