DEB by Dagmar Perinelli

Einstromland Rhein

Juni 2003

Die schönsten Mädchen gab es auf meiner diesjährigen Juni-Reise durchs Dreiland in Schopfheim. Schön und gut gebräunt standen sie unweit vom Cafe Irrlicht zusammen. Uschi und ich hatten noch Zeit für ein Bier, bis der Frida Kahlo-Film im Mittwochskino begann. Die Mädchen sprachen in einer Sprache, die ich nicht kannte, doch als wir näher kamen und ich sie anlächelte wechselten sie in ein brillantes Hochdeutsch. Die tiefschwarze schlanke Bedienung fragte uns freundlich nach unseren Wünschen und wir bestellten unser Pils. Im Telefonhäuschen telefonierte ein schwarzhaariges Mädchen und es bewegte sich an diesem frühen warmen Sommerabend in Schopfheim grazil wie eines jener Zigeunermädchen aus dem Süden unserer Sehnsucht.

Da war eine Generation herangewachsen, die gut gebildet war und schön anzusehen war. Frida Kahlo hätte ihre Freude an den Schopfheimer Mädchen gehabt, wie wir unsere Freude an Salma Hayek hatten.

Welch ein Gegensatz am Morgen: ein weißes, schlechtgelauntes junges Mädchen verkauft in Stetten Erdbeeren und Spargel. Ich hatte mich dummerweise in die Schlange nach Erdbeeren lechzender Frauen eingereiht. Ihre schlechte Laune wurde nur vom Verkäufer am Biostand übertroffen. Hier litten die Menschen an der Hitze, obwohl eine freundliche Brise durchs Dorf wehte. Es war nicht die schlechte Laune des Verkäufers, die mich davon abhielt, den Biowaren näher zu treten. Es waren jene tiefe Furchen von Unzufriedenheit, die ich in den Zügen des Mannes sah und die mich instinktiv zur alten Bäuerin am Stand brachten, die in freundlichen Gesten ihre Kunden bediente. Auch hier war der Mann der mürrische, aber ihn nahm ich gerne hin und die Spargel sahen gut aus.

Den Freund, den Urstettener traf ich auch auf dem falschen Fuß an – die Arbeiter hatten keine leere Mulde mehr für den Bauschutt und so warfen sie ihn auf den Platz daneben. „Und ich muss das alles wieder bezahlen – hundert Euro die Stunde kosten die mich“. Hier war heute kein Platz zur Einkehr.

Wie freundlich dagegen der junge Friseur mit seinem frechen Bubengesicht und seinem langen, schlabberigen weißen Hemd. "Was wollen wir mehr – wir haben Sonne und ich habe Arbeit“.

Während die Menschen in den Läden lechzten, weil – umgeben von all den Waren – in ihren Läden kein Lüftchen wehte, keine Klimaanlage eine kühle Atmosphäre kreierte, konnte ich die Schattenplätze aufsuchen oder einfach in die Höhe gehen.

An einem Abend ein Wurstsalat und einen kühlen trockenen Britzinger im Garten einer Kneipe an den Hängen des Hotzenwaldes – der Blick geht weit ins Tal, dort ist Basel und der Rhein schlängelt sich elegant durchs Grün auf seinem Weg ins Nordmeer.

Eine Fahrt durch den Aargau am Rhein entlang, es ist mit die schönste Zeit am Hochrhein. Der Weizen steht goldgelb auf den Feldern, auch wenn er nicht die Intensität des kalifornischen hat, dafür ist die Tradition, die überall sichtbar ist, ein Schatz und die vielen Bauernläden und eine kluge Schweizer Landwirtschaftpolitik wird vielleicht dafür sorgen, dass dies auch kommende Generationen, fern vom modischen Amerikanismus, der uns in all den Hochrheinstädten entgegenschlägt, erleben und schätzen lernen können.

Auch das Kandertal bietet Muse und die Schwüle der Stadt ist wie fortgeweht. Wo einst unser Zirkuswagen stand, finde ich eine fein
schmeckende Blaubeere und ich erinnere mich an die Sonntagsausflüge mit Eltern und Geschwistern im Hotzenwald, wo wir im Frühsommer die
Blaubeeren sammelten.

Die nur wenige Kilometer entfernte Alkoholikerklinik schreckt mich in ihrer Düsternis ab und ich lasse mich auf einer Wiese nieder, von der ich sowohl das Tal sehe als auch die Höhe des Blauen.

Der Heimatverein hat eine Kneipp-Tretanlage gebaut und ich wate minutenlang durchs frische, kühle Wasser. Noch Stunden danach kühlt es mich und ich bleibe erfrischt. Selbst die Pferde, die gerade noch vor Hitze sich in warmer Erde wälzten, sind ob der Wassergeräusche aufgewacht und stehen jetzt mir zugewandt da. Eine Graue kommt mir entgegen und beschnuppert meine Hand. Dann schiebt sie ihren Freund zur Seite und zum Wasser hin. Dort, wo uns einst der Schattlochbuur half, den Zirkuswagen an seinen Platz zu stellen, haben die Kandertäler ein weiteres Paradies geschaffen, auch wenn ich die Bezeichnung Farm für ein Markgräfler Ferienunternehmen ziemlich blöde finde.

Leider sind auch hier nur die Schnellraser unterwegs und ich muß öfters an den Rand fahren um nicht vom Sog der hektischen Automenschen unangenehm berührt zu werden.

Ein Mann, ungefähr in meinem Alter, kommt aus dem schönen Holzhaus mit Solarmodulen heraus und grüßt freundlich, während aus meinem offenen Autofenster „Georgia on my Mind“ vom großen schwarzen Jazzsänger einen Gruß hinüberschickt.

In dem Mühleladen erstehe ich ein Vollkornbrot, das ich im fernen Apulien mit meiner Frau verspeisen werde.

Der Picassofreund Ernst Beyeler hat im Foyer des Museums das Guernica-Bild reproduziert und die Ungeheuerlichkeit seiner Verhüllung in der UN beschrieben. Welch tiefe Verbeugung vor dem großen Künstlerfreund und welch schöner Einstieg in die Ausstellung Expressiv!. Ein gut gekleideter sechzigjähriger Mann grüßt mich freundlich, später lächeln wir uns an, während er im amerikanischen Klang mit dem Handypartner im schönen Garten der Beyeler Foundation spricht. Schulklassen wird von Lehrerinnen die Kunst näher gebracht, leider vergaß sie vorher den Jugendlichen mitzuteilen, dass der Umgang im Museum eines erfrischenderen Outfits bedarf, als das zum transpirierenden Sportunterricht.

Während die Bächles in den Hochrheingemeinden wachsen – Bad Säckingen hat jetzt eins und in Wehr schaufeln große blaue Metallräder das Wasser weiter – nehme ich am Narrenbrunnen in Bad Säckingen einen kühlen Schluck Wasser, was den kleinen Jungen seine Mutter fragen lässt, ob denn das Wasser trinkbar sei. Wie fern der Natur und dem eigenen Erleben müssen heute Kinder aufwachsen, dass sie solche Fragen stellen. An kaum einem Brunnen gehe ich vorbei, ohne mir sein labendes Wasser mit eigenen Händen übers Gesicht zu schütten und auch immer eine Hand davon zu trinken.

So gehen die Tage vorüber, auch freundliche Abendessen bei Seuberts im Garten, wo die Kinder mit Freude das Brot essen und wir Alten den Pastis meines Bruders und dessen provoncalischen Oliven genießen. Hier wird am Sonntag Beate die Altberliner Tradition des literarischen Salons für Brombach wieder neu begründen und mit der Begleitung der klassischen Gitarristin Sabine Jung einem kleinen Publikum eine Alternative bieten zum Presseclub.

Auf der Heimreise bewundere ich wieder die Schweizer Berge rund um den Vierwaldstädter See und sauge die liebliche Landschaft der Marken auf, wo Sonnenblumenfelder und Weizenäcker den Augen Nahrung geben und der Seele Kraft. Gott hat auch das geschaffen – nicht nur das Abschlachten des Einen, der Vielen. Die untergehende Sonne streicht die Landschaft in goldgelb und die tiefrote Morgensonne begrüßt den neuen Tag. Ein klarer Sternenhimmel bebildert die Weisheit, wenn Du glaubst, du hast das göttliche Prinzip verstanden, kannst Du sicher sein, dass du es nicht verstanden hast. Je mehr ich weiss, um so mehr weiss ich, dass ich nicht weiss.

Apulien, 21. Juno 2003