DEB by Dagmar Perinelli

Wolfgangs Welt oder Ich fickte Jane Birkin

von Dieter Emil Baumert. 02. Juli 2009

2001 sollte ein wunderbares Jahr werden: Stanley Kubrick hatte es in seinem Jahrhundertfilm vorgegeben und Europas bester Buch- und Plattenversender hatte es seit Jahrzehnten vorausgesagt: Jetzt treten wir endlich ins Wassermannzeitalter ein. Werktäglich beteuerte die blonde Tochter des TV-Journalisten „Alles wird gut“ – doch es wurde nichts gut: die Taliban hatten die Buddhastatuen gesprengt, die Hamburger Bewohner hatten die Flugzeuge in die Twin-Towers gejagt und damit das Stockhaussche Finale eingeleitet, und die Neocons erklärten ihren „Krieg gegen den Terror“, und in Deutschland konnte Wilhelm Heyne nicht darauf verzichten, den „Tick“ herauszubringen.

Der Musikjournalist Wolfgang Welt beschreibt in seinem Tick sein Leben zwischen Plattenladen, Teilzeitjobs und dem Rockmusikbetrieb. Manche Anekdote und manches Döntches bringt er „an den Mann“, erzählt vom deutschrockenden Sänger, dessen Hund einen Menschen totgebissen hat, aber alle darüber hinwegsehen, vom Bochumer Sänger, den er nicht mag und den kein Musikjournalist außer ihm beachtet, während sie zwei Jahre später „ihm in den Arsch kriechen“ werden, berichtet von Bio, der sein Schwulsein nicht heraushängt. Wie der rasende Klatschreporter streift er die Musikszene des Ruhrgebiets, jenes Kosmos zwischen Sounds, Music Express und den vielen kleinen Stadtzeitungen, für die er die Szene beobachtet. Jeder wird mit Namen genannt und nur wenige kommen gut weg. Der Roman basiert auf dem Konzept des neudeutsch so genannten name-troppings.

Nenne so viele Name wie möglich, jeder davon wird Dein Buch kaufen, weil er wissen will, was Du über ihn geschrieben hast. Welt kommt mit der Attitüde des Ehrlichen daher, der sich nicht den Mund verbieten lassen will. Doch leider ist das meiste, was aus dem Mund des fast dreißigjährigen Autors kommt und in seine Schreibmaschine wandert, Müll, und ich hoffe für uns, dass er wiederverwertbar ist.

Minutiös beschreibt er seinen Alltag, wie er einen Auftrag zu einer Tourneebesprechung bekommt, wie er ihn ausführt, wen er trifft, was er an kärglichem Lohn erhält, wie ihn seine Eltern zum Studieren treiben oder er als Wachmann sich wegducken muss, wenn die Fans kommen, denen er sonst als Musikkritiker entgegentritt. Das alles hätte vergnüglich sein können, und es gibt in der Rockgeschichte durchaus Beispiele, und auch die Literaturgeschichte kennt gelungene Alltagsbeschreibungen von Verlierern. Wie wunderschön sind die Erzählungen des US-Amerikaners John Fante zu lesen. Doch die Klatschgeschichten des Wolfgang Welt werden lustlos dahinerzählt.

Welt gehört zu den unzähligen deutschen Autoren, die im Windschatten von Charles Bukowski versuchen, Worte zu finden für ihre kleine Welt des Rockgeschäfts. Was immer dazugehört ist Alkohol, und von dem viel, und natürlich Weiber. Der Autor hebt immer wieder hervor, dass er nur säuft, niemals aber kifft, snieft oder spritzt. Naja, vielleicht mag das helfen, dass Otto Schillys Horden nicht über ihn herfallen, und saufen, ja saufen tun wir doch alle. Wenn es allerdings mal jemand nicht tut, wie im „Tick“ die große Laura Anderson, dann wird ihr vom Autor die Frage nachgereicht, ob sie wohl Alkoholikerin sei. Das hört sich nun besonders putzig an von einem Autor, der mehr von Hochprozentigem lebt als von Fritten mit Ketchup.

Da gibt einer mächtig an, protzt damit, dass er „solche Texte“ wie die für Achim Reichel schon lange schreiben kann, doch als Reichel ihn um Lieder bittet, kneift er und liefert nicht ein Lied ab. Er gehört zu den Schreibern, die aus dem „Mit dem habe ich auch schon ein Bier getrunken“ eine ganze Welt basteln. Er tratscht, wie es die Männer der alten Zeit einst den sogenannten „Waschweibern“ unterstellten, dass sie der Welt alles brühwarm erzählen. Die Platzhirsche kommen dabei noch gut weg, Papst Dietrichsen wird fast ehrfurchtsvoll immer wieder erwähnt, bekommt aber, im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen, sein Fett nicht ab. Bei allem ans Bein pinkeln weiß er, dass er im Musikgeschäft nicht alle vergrätzen kann, will er noch was werden. Welt hat allerdings mit seinem Roman ein Bewerbungsschreiben abgegeben für die Klatschpresse der Springers, Bauers und Burdas, und es würde mich nicht wundern, wenn er heute, also acht Jahre später, in deren Dienst steht und neudeutsch im „Celebrity-Geschäft“ tätig wäre.

Vielleicht schreibt Wolfgang Welt schöne Musiktexte. Ich kenne sie nicht, aber nach der Lektüre des Buches kann ich es mir nicht vorstellen. Ein eingereichter Romanauszug wurde vom Lektor des Suhrkamp-Verlages verärgert zurückgeschickt. Das war offensichtlich nicht die Art von Pop-Literatur, die dem Mann bei Suhrkamp vorschwebte. Recht hat er. Wer Texte zu Musik lesen will, dem empfehle ich einen anderen Musikjournalisten aus dem Ruhrgebiet: Karl Lippegaus.

Wie sein Vorbild Charles Bukowski gehören für Wolfgang Welt neben dem Alloholl auch die Weiber dazu. Für ihn gibt es drei Klassen dieser Spezies. Die meisten gehören zu denen, die er „ficken“ möchte oder mit denen er „gefickt“ hat. Wie die Jäger die Geweihe der abgeschossenen Tiere in ihre Wohnhäuser hängen, so hängt Wolfgang Welt die Namen der von ihm „gefickten“ Frauen in sein Buch. Viel mehr als das erfährt der Leser nicht von ihrem Wesen, außer wenn sie große Brüste haben. Wolfgangs Welt ist eine Welt der Frauenverachtung. Wenn Frauen der zweiten Klasse signalisieren, dass sein kleines Ego nicht bis hin zu ihrer Muschi reicht, dann sind es in der freundlichen Variante „Tanten“ und in der unfreundlichen „Fotzen“. Und dann gibt es noch die der ersten Klasse: sie bewundert er, doch er traut sich nicht an sie ran. Als er einmal Jane Birkin auf dem Flugplatz begegnet und später zufällig im Flugzeug in gleicher Reihe mit ihr sitzt, zwischen ihm und ihr Birkins Freund, der Vater ihres Kindes, der sie zu einem Besuch bei der Queen begleitet, wie er später den News entnehmen kann, wagt er es nicht sie anzusprechen, sie, die ihn mit Serge Gainsbourgs „Je taime“ jahrelang begleitete und deren Poster er (als Wichsvorlage?) im eigenen Zimmer hängen hatte, bis er es dann eines Tages seinem Bruder für dessen Bundeswehrspind überlässt. Hätte er ein Gespräch mit ihr begonnen und hätte dies, nur hypothetisch, mit Jane Birkin im Bett geendet, dann bin ich mir sicher, dass sein Buchtitel nicht „Der Tick“ gelautet hätte, sondern „Ich fickte Jane Birkin“.

Na denn Prost.