DEB, 7/1979

Eine Welt für alle – im Reisverschlussverfahren?

Bemerkungen zu einem Plakat

Von Dieter Emil Baumert
29. Juni 1993

Zum internationalen Sommerfest in Lörrach luden verschiedene Gruppen und die Stadt Lörrach ein. Das Veranstaltungsplakat zeigte in Wörtern das Thema des Festes: „Eine Welt für alle – miteinander ohne Fremdenhass“. Das Motto ist 1993 wieder tödlich aktuell: angesichts brennender Häuser ausländischer Mitbürger – junge Nazibanden steckten sie in Brand -, angesichts tagtäglicher Übergriffe auf das Leben der in unserem Land lebenden Fremden. Da werden muslimische Frauen unter ihrem Tschador wieder gejagt, wie einst die jüdischen Mitbürger, da werden andersfarbige Menschen unseres Landes wie Fackeln angezündet und der deutsche Mob gafft mit der Bierflasche in der Hand vom Nachbarfenster grinsend zu. Weil sie ihre eigene Dumpfheit nicht ertragen, schlagen die Deutschen jetzt wieder auf das Fremde im Anderen, den Wohnsitzlosen auf der Parkbank, den Behinderten im Rollstuhl. Wer nicht untertauchen kann in der anonymen Masse der scheinbar Gleichen, weil er oder sie zufällig oder absichtlich eine andere Hautfarbe hat, ein Kopftuch trägt oder ein kleines schwarzes Käppchen auf dem Hinterkopf, der muss sich wieder in Acht nehmen in Deutschland, denn vom Nachbar, dem Gaffer auf der Strasse ist keine Hilfe zu erwarten. Mit Kerzen erhellt man zwar die Nacht, aber erhält nicht die Unversehrtheit von Leib und Leben unserer bedrohten MitbürgerInnen. Die zivile Gesellschaft der Bundesrepublik ist Ende dieses Jahrhunderts erneut in Gefahr. Widerstand ist angesagt.

Da sind Aktivitäten für den Erhalt der Zivilgesellschaft Bundesrepublik Deutschland notwendige Bausteine – auch dieses Sommerfest. Und doch gibt das Plakat Anlass zu kritischen Fragen. Warum zum Beispiel wurde das Motto in Anführungszeichen gesetzt? Soll es als Zitat gekennzeichnet sein, einer Aussage also, die jemand Anderem zugeschrieben wird, zu deren Wesensgehalt die veranstalteten Gruppen und die Stadt Lörrach sich nicht bekennen mögen?

Und was hat uns das Bild auf dem Plakat zu sagen? Es zeigt eine fleckige, grau-farbige Fläche, an deren linken Rand sich ein Reisverschluss befindet, der zur Hälfte zugezogen ist. Ein kleiner Pfeil soll uns wohl sagen, dass der Reisverschluss weiter geschlossen werden soll, der Schieber des Reisverschluss ist schon in Richtung Verschlussende gerichtet. Die linke Seite ist weiß, so weiß wie das Plakat – keine Schattierungen, keine Farben, keine Flecken. Was wollen uns die Veranstalter, die das Bild von M. Amann auf das Plakat brachten, damit sagen? Sollen sich eine sterile, quasi gentechnisch-gereinigte, weiße Welt mittels Reißverschluss mit der fleckigen, dreckigen, leicht bunten Welt zusammenfügen lassen? Signalisieren die Sommerfestveranstalter damit, dass dieses Kleid der Kollektion „eine Welt für alle“ natürlich jederzeit wieder ausgezogen werden kann? Schließlich sind Reißverschlüsse nicht nur zum Schließen da, ihre Gebrauchsfähigkeit entsteht erst aus der Möglichkeit, den Verschluss auch zu öffnen. Ohne dies hätte der Schließmechanismus keinen Sinn. Sollen wir von den Freunden kurdischer Folklore, internationaler Speisen und Getränke und italienischen Tanzes darauf vorbereitet werden, dass wir demnächst wieder die zwei Teile der einen Welt voneinander trennen sollen, wenn der Reichtum der Mittelklasse durch die zuwandernden Flüchtlinge aus den sogenannten armen Ländern gefährdet ist, das Kleid des Internationalismus dann wieder ausgezogen wird?

Was hat es zu bedeuten, wenn das Weiß blütenweiß, wie in der schrecklich-falschen Waschmittelwerbung im Werbefernsehen gezeigt wird, das Schwarz aber fleckig? Steckt dahinter nicht das alte rassistische Weltbild des sauberen Weißen und des dreckigen Schwarzen? Die Reichen sauber, aber steril, die Armen dreckig, aber lebendig? Und welches Weltbild versuchen die Veranstalter bildlich zu vermitteln. Das miteinander mit Fremden eine Welt für alle, wie im Reißverschlussverfahren auf der Autobahn beim Stau, mit technischen Hilfsmitteln zu bewerkstelligen ist, und nicht auf dem, zugegeben viel schwierigeren, Weg des sozialen Zusammenlebens, des miteinander Sprechens, des miteinander Arbeitens, des miteinander Festens, des miteinander Lebens?

Da sind mir Bilder von Menschen, die sich die Hände reichen, lieber, da wünsch ich mir das gemeinsame Lachen der muslimischen und der feministischen Frau, da gemeinsame tragen schwerer Last eines Markgräfler Bauernjungen und eines anatolischen Bauernmädchens, das Bild des schwarzhäutigen Lehrers, der Seite an Seite mit seinem weißhäutigen Kollegen aus dem Buch der Geschichte Lehren zieht und diese allen BürgerInnen dieses Landes im Nachhilfeunterricht humorvoll und intelligent vermittelt.