Namen sind Schall und Rauch

Von
Dieter Emil Baumert,
acht Tage vor meinem ersten Covid-19-Impftermin

Unsere Eltern geben uns unseren Namen. In den meisten Fällen leben wir mit ihm bis zu unserem Lebensende damit. Einige wenige Menschen geben sich im Laufe ihres Lebens einen anderen Namen: sie nehmen einen Künstlernamen an oder einen religiösen Ordensnamen. Alles im Rahmen des jeweils gültigen Rechts. Mein Vater wollte mir, in konservativer Tradition, den Namen seines Vaters geben: Emil.

Die Frauen unserer Familie, Mutter Frieda Luise und Tochter Traudel Elvira, genannt Friedel und Traudel, probten den Aufstand und so bekam ich als ersten Vornamen einen jener deutschen Lieblingsnamen für Jungs in den Fünfziger Jahren: Dieter. Mein vier Jahre älterer Bruder Gert bekam als zweiten Namen den Namen Robert. Robert war der Lieblingsbruder meiner Mutter. Er fiel im Russlandfeldzug der Wehrmacht und liegt heute begraben auf dem Sammelfriedhof Duchoschtischina in Russland.

Logischerweise hätte mein zweiter Vorname Ernst lauten müssen, so wie mein Vater hieß und erst an dritter Stelle wäre der Name des Großvaters, väterlicherseits dran gewesen. Eine gewisse Unlogik gehört leider immer zu unserem Leben.

Jahrelang wurde ich als Kind Dieter gerufen und nannte mich auch so. Komischerweise wurde Emil nie benutzt. Dabei hat er doch viele Auftritte im literarischen Leben der Nationen. Emil und die Detektive, Emil von Rosseau, Emil Dürkheim. Als Volksschulkind nannte mich, wenn ich mich nicht irre (Sam Hawkins aus dem Karl May-Land meiner Kindheit), mein Freund Bicco Didi. So nannte mich dann Jahre später auch unsere Grenzach-Wyhlener Anti-AKW-Freundin Jeanette.

Meine Schwester nannte mich Dieter. Aber ab und an kommentierte sie mein Verhalten so: Der Dieterich, der Dieterich – der ist ein arger Wüterich. Meine vierzehn Jahre ältere Schwester wird das nicht grundlos gesagt haben.

Als Jugendlicher kamen dann einige neue Namen dazu. Unsere italienischen Freunde im Säckinger Jugendzentrum nannten mich Jesus. Dies war wohl meinem Aussehen zu verdanken, das die katholisch geprägten Jugendlichen an den gekreuzten Mann aus Palästina erinnerte. Da ich in jenen Tagen als junger Sozialist durch die Welt schritt, setzte ich auf das i des Dieters immer ein kleines Sternchen. Dass ich zu jener Zeit alles klein schrieb, das war für einen Bert-Brecht-Leser klar. Und so nannten mich einige meiner Freundinnen vom Hochrhein und Wiesental Sternchen.

Meine Jugendliebe jane nannte mich david. Meine Tagebucheinträge nannte ich david-protokolle.

Während meiner Lehrjahre bei Foto-Forstmeyer in Säckingen nannten mich meine Mitlehrlinge Kollega. Den Namen hatte ich mir damit verdient, dass ich von achtzehn Uhr bis achtzehn Uhr dreissig die Abendbereitschaft in unserem Labor machte. Dadurch konnten Charly und Bug um achtzehn Uhr den Zug nach Rheinfelden nehmen und Willi den nach Wehr. Ich als Säckinger machte das gerne, ich brauchte ja nur wenige Minuten zu Fuß nach Hause.

Dann kamen viele Jahre keine neuen Namen dazu. Ich selbst nannte mich dann Dieter E. Baumert. So stand es auf der Visitenkarte meiner Freien Presse-Agentur Hochrhein, so trat ich in meinen Texten in meinen Publikationsorganen auf. Als ich mich dann in den frühen Neunzigern mit meinem ganzen Namen noch einmal für die Grünen im Kommunalwahlkampf in Lörrach auf die Wahlliste setzte, freute sich der Badische-Zeitung-Journalist Nikolaus Trenz spitzbübisch, dass wir nun endlich wüssten, für was das E. stand. Irgendwann schrieb ich dann meine Texte mit der Nennung meines vollen Namens: Dieter Emil Baumert.

In den Lörracher Jahren nannte mich hin und wieder auch jemand Baumi, so wie der Siebdrucker aus der Szene liebevoll genannt wurde. Ende der Siebziger gingen wir nach unseren Sitzungen im neu gegründeten Kommunikationszentrum immer in die Szene-Kneipe Ascona. Dort umflirrte mich der schwule Barista Ecki und nannte mich liebevoll Lädeli – so wie die Buchhandlung, die wir erst als Kollektivprojekt in der Rainstraße gründeten und nach Beendigung des Kollektivs ich weiterführte. Im Ascona machte ich dann Daggi meine Liebeserklärung, indem ich in der Musicbox Kristoffer Kristoffersons und Fred L. Fosters Song Bobby Mc Gee, gesungen von Janis Joplin drückte: Freedom’s just another word for nothing left to lose.

Als wir dann Anfang des neuen Jahrtausends hier in Italien aufschlugen, weitete sich die Varianten meiner Namen. Unser Geometra-Freund Nunzio nennt mich professore. Eine italienische Freundlichkeit, in der jeder, der mehr als sechs Grundschuljahre hat, schon mit einem Titel gefeiert wird. So viel Grandezza lieben wir natürlich. Nunzio nennt mich auch gerne Emil. Er gehört damit zu den wenigen Italienern, die mich deutsch benennen.

Andere, wie unser Nachbar Gino oder unser Pizzeria-Freund Pierro nennen mich Emilio. Für den Bruder von Gino,Giovanni, heisse ich von Beginn an Tourista. Die Nachbarn aus Bari, Danillo und Angela nennen mich Dieter. Die deutschen Nachbarn Hanne und Josef nennen uns Rosa und Emilio. Ob wohl noch ein paar Namen dazu kommen?

Oder werde ich dann so wie bei dem Lieblingsautor meiner Kindheit, Karl May, so wie Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah: Dieter Emil Dieterich Didi Jesus Sternchen Baumi Lädeli E. Emilio professore Tourista heißen?