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DEB

Sogyal Rinpoche hat das Tibetische Buch vom Leben und Sterben – Ein Schlüssel zum tieferen Verständnis von Leben und Tod geschrieben. Es begleitet uns seit Jahren auf unserem Weg.

„Obwohl meine Sicht so offen und weit ist wie der Himmel, ist mein Handeln und meine Achtung vor Ursache und Wirkung so fein wie Mehlstaub“
Padmasamhava
Otto Wilhelm Barth Verlag
ISBN 3-502-62580-8

Hilf- und lehrreich ist auch:
Mullin, Glenn H.
Die Schwelle zum Tod – Geleitwort von Elisabeth Kübler-Ross
Dietrichs Verlag
ISBN 3-424-00920-2

„Bist du alleine,
So gibt acht auf deine Gedanken.
Bist du in Gesellschaft,
So gib acht auf deine Worte."

Elisabeth Kübler Ross und Stanislav Grof haben wichtige Bücher über den Tod geschrieben.
Siehe www.buchhandel.de

Friedels Tod

© Dieter Emil Baumert. 29. Januar 2001
14:31

17. Januar 2001
23:20

Für mich soll’s rote Rosen regnen
Mir sollten sämtliche Wunder begegnen
Die Welt sollte sich umgestalten
Und ihre Sorgen für sich behalten

Hildegard Knef

Seit fast anderthalb Jahrzehnten hat mich der Große Geist vorbereitet – auf den Tod meiner Mutter.
In unzähligen Träumen träumte ich ihren Tode, doch als ich jetzt in meinem Traumtagebuch/ Traumnächtebuch nachschlug, fand ich keinen einzigen. Vielleicht muss ich vor 1993 suchen. In Indien, um Indien und um Indien herum.

Es war, als sollte mich Friedels demonstratives Desinteresse am Buddhismus leiten. Hatte ich vor Jahren ein wenig vom Buddhismus erzählt, wohl in folge unserer Indien-Reisen, vielleicht auch Dina Rees, reagierte sie abweisend, das wollte sie nicht hören, vielleicht klang es ihr auch zu überzeugt, Worte eines Konvertiten – mein Freund Christian: „Das sind die schlimmsten“ warum eigentlich Christian, und stimmt das denn?
Mit schweigender Ablehnung brachte sie zum Ausdruck, dass unsere Religion die christliche, die evangelische ist, ich, getauft am 2. November 1952, konfirmiert vom freundlichen Vikar Gert Ehmann in der evangelischen Stadtkirche zu Säckingen am 12. März 1967. („Dankspruch“: „Selig sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schaun. Matth. 5,8).
Ja, sie war christlich unsere Erziehung und darauf bin ich stolz, aber stolz habe ich nicht zu sein, es war nicht mein Verdienst, sondern die Erziehung meiner Eltern, unserer Eltern.
Das Morgengebet, nein, das gab es glaub nicht, aber das Gebet zum Essen – auf jeden Fall zum Mittagessen „Herr Jesus sei unser Gast und segne was du uns bescheret hast“. So oder ähnlich ging es und dann abends das Kindergebet „Lieber Gott, Mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm“.
Das war genug, das hat gereicht, mehr war nicht nötig. Dazu der Holzteller „Unser täglich Brot gib uns heute“ und vergib uns unsere Schuld – das Vater Unser, in Deinem Beisein haben wir gesprochen, Bruder Helmut, Schwester Leni, die Söhne Dieter und Gert und Dagmar, am Nachmittag des 17. Januar 2001 im Kreiskrankenhaus Bad Säckingen, Du schon in einer anderen Welt, aber noch hier, sprachlos, wortlos.

Am Morgen bist du eingeliefert worden, der Notarztwagen kam, die Helfer der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt hatten dich morgens im Bett angetroffen, es war dir unwohl, beim ersten Mal, beim zweiten Mal hattest du wohl schon den Schlaganfall, den letzten Deines Lebens. Du warst dann halbseitig gelähmt, der Notarztwagen brachte dich weg von Deinem geliebten Heim, in dem Du bis zum Schluss leben konntest, so wie Du es Dir immer vorgestellt hast.

Ja, ein Ende mit Vorwarnungen. Am 4. Januar hast Du am Nachmittag eine Embolie, Du wirst zu Doktor Scholz gebracht, direkt von der Tagespflege weg – der weist Dich sofort ins Krankenhaus ein. Dann liegst du da, abends, ganz klein, ganz Kind, Daggi und ich sind da, du machst die Augen auf, sagst liebevoll „Dieter“ und lächelst. Schläfst wieder ein. Du hast Wasser in der Lunge, das Herz wird bedroht. Schnell erholst Du Dich. Die Ärztin warnt „es kann jederzeit wieder passieren“ – ist ratlos, weil ich keine weiteren Fragen habe, doch welche sollte ich stellen. Am Dienstag, den 9. Januar sitzt Du wieder auf dem Bett, angezogen, Du willst, dass ich Dich mitnehme, die Ärzte wollen Dich noch 2-3 Tage zur Untersuchung dabehalten. Am Samstag dann noch einen Besuch mit Dagmar, Blumen, Lachen, Gespräche mit der Zimmernachbarin.

Am 12. Januar, ein Freitag, kommst Du raus, ein Tag in der Tagespflege der AWO, dann bist Du zu Hause, im geliebten Heim der Friedrichstraße, einst 65, jetzt 77.

Am Samstag telefoniert Gert mit Dir, Dir geht es nicht gut, Gert fragt nach, wann ich zu Dir gehe. Morgen. Daggi sagt am Nachmittag: Wenn Du zu Friedel gehen willst, gehe ruhig. Ich gehe nicht, aber werde immer trauriger, abends ist Birges Geburtstagsfest, wir sind eingeladen, wollen hin. Es ist die tiefste Traurigkeit, die ich je spürte und ich weiß nicht warum, vier Tage später weiß ich es.
Ich höre nicht auf meine Trauer, gehe mit Daggi zum Fest, erzähle Alex, dessen Mutter vor wenigen Tagen starb, in Gedanken, stolz und voll Freude, dass meine Mutter dem Gevatter Tod von der Schippe gesprungen ist.

Am Sonntag fahren wir zu Friedel – sie hat das Telefon nicht abgenommen, doch ich weiß, sie ist da. Wir kaufen Kuchen. Wir klingeln. Du kommst aus dem Bett, freust Dich. Wir machen Kaffee, Du ziehst Dich an, Daggi hilft Dir, nichts geht mehr so einfach wie früher, es ist beschwerlich geworden, das Anziehen und das Ausziehen, das Reden und das Denken, das Handeln und das Sein. Glücklich sitzen wir zusammen, genussvoll isst Du Dein Stück Kuchen, Daggi und ich frotzeln uns an und Du lachst darüber, willst etwas sagen, aber die passenden Worte fallen Dir nicht mehr ein. Du klopfst mit Deinen Fingerknöcheln an Deinen Kopf und sagst „Oh, Du, er will nicht mehr“. Wir sitzen noch am andern Tisch, Du auf Deinem Lieblingssessel, wo Du all die letzten Jahre saßest, wenn Du Fernsehen gesehen hast, Jürgen Fliege und Tagesschau, Schlagerparade mit Ingo Kubinski und anderes. Ich lobe Deine schöne, goldene Bluse, die Du angezogen hast, Du streichst darüber und sagst wie ein Kind „schön, Friedel schön“. Ich erledige ein wenig Post, ordne Briefe ein, lasse Dich den Antrag zum E-Banking der Bank unterschreiben, so kann auch ich Überweisungen vornehmen. Dir fällt es zunehmend schwer Deine Unterschrift zu schreiben. Dann will Daggi nach Hause, sie braucht noch Zeit für sich, Montag ist wieder Arbeitstag. Friedel und ich halten uns an der Hand auf dem Weg vom Wohnzimmer zum Ausgang. Eine Umarmung für jeden. Ich sage: „Ich komm dann am Dienstag und kauf ein.“ Als wir schon im Auto sitzen kommst Du noch einmal auf die Terrasse, blickst um die Ecke, winkst uns Deinen Abschied zu.

Die Nachbarin Schmidt hat den Notarztwagen gesehen, sie ruft Ilse, Gerts Schwiegermutter an und diese mich. Kurz darauf ruft auch Herr Grünbaum von der AWO Bad Säckingen an, erzählt, dass Friedel wieder ins Krankenhaus kam. Möchte, dass wir uns über eine veränderte Pflegeleistung unterhalten. Ich sage „jetzt warten wir erst einmal die Diagnose ab“.

Ich gehe noch zum verabredeten Friseurtermin, Lars wünscht meiner Mutter gute Besserung „Mein Opa sagt immer, wenn man erst ins Krankenhaus kommt, dann wird’s ernst“. „Hoffentlich kommt sie bald raus“ – ein freundlicher Blick einer Frau, deren Mutter mit ihr zusammen beim Friseur wartet.

In Bad Säckingen, Kreiskrankenhaus. Sie liegt jetzt nicht mehr auf Innere Süd, sondern auf Innere Ost. Ja, stimmt, in Lörrach hatte ich noch mit dem Arzt gesprochen, er sagte, telefonisch könne er mir nichts sagen, aber er empfehle mir, noch heute zu kommen. Verklausulierte Todesbotschaften.

Friedel hat die Augen auf, aber sie spricht nicht. Ich weiß nicht, ob sie mich erkennt, ich zeige ihr die Sonne über Säckingen, sie ist weit weg. Der junge Arzt kommt, sagt, dass sie halbseitig gelähmt sei und fragt, wie sie es machen sollen, man könne sie irgendwann auch künstlich beatmen, an Maschinen anschließen. Ich sage „Nein das wollen wir nicht. Sie soll sanft sterben“. Ich spüre, wie der Arzt innerlich einen Schritt zurück geht, Sterbehilfe ist noch ein Tabu in deutschen Krankenhäusern.

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