Wo warst Du, Adam?
Kurioserweise fanden sie im alternativen Wendland ein großes Gehöft. Dort schien den deutschen Alternativen noch die Welt in Ordnung und vieles sah so aus wie bei Obelix und Asterix: aber dort war ein kleines Dorf und es leistete Widerstand. Die beiden hätten uns gerne mitgenommen und ich hatte mir damals vorgestellt, dass es gut geworden wär. Doch unser beider Kompass war auf Süd gestellt und meine große Liebe hatte genügend Norddeutsche Wettererfahrung um zu wissen, dass dies nicht unser Altersruhesitz werden würde.
Natürlich besuchten wir sie in ihrem neuen Heim, doch auch dieser Besuch wurde zu einem gefahrvollen Gang. Die Geister des Hofes, ein altes, großes wendländisches Gehöft mit Stallung, waren noch aktiv, sie waren noch nicht vertrieben oder gebändigt und nahmen mich in Geisel. Zwischen den beiden Polen der Weiblichkeit und der Männlichkeit hin- und hergerissen drohte mir eine neue Katharsis. Ich sah nicht nur den eifersüchtig um die Ecke schießenden Mann, sondern auch den Grundbesitzer. Adam nahm mich mit auf einen Gang durchs Dorf und ich erlebte, was er brauchte: ich war plötzlich der kleine, dumme Stalljunge, der mit dem Bauern durchs Dorf zieht. Meine Geliebte sagte nach dem Besuch: da können wir nicht wieder hin, da wirst Du wieder blöd.
Soweit zur schmeichelnden Direktheit in der Partnerschaft.
Ihre Arbeit ging weiter, es kam natürlich auch Industrieberatung dazu. In seinem Büro hatte er mir gezeigt, wie es in den Führungsetagen von Konzernen geht: Mit einem Pfeil wird auf eine Wand mit Entscheidungsthemen geworfen. Welches Thema man trifft – dorthin geht die Reise.
Doch irgendwann wurde auch das Bauernhaus zu einer Fessel und ohne Verlust konnten sie das Haus verkaufen.
Im neuen Domizil in Stuttgart kam dann die Arbeit für die Telefongesellschaft dazu. Ein amerikanisches Unternehmen, welches mit Schneeballmethoden zum Weltmarktführer werden wollte. Ähnlich angelegt wie die Kettenbriefe brachte das System für die Oberen immer genügend Gewinn. Die Masse der Wasserträger bekam vorgegaukelt, ihnen gelänge das gleiche: Reichtum und Wohlergehen. Er versuchte mich für die Sache des Telefons zu gewinnen und ich fuhr sogar nach Freiburg zu einer Rekrutierungsaktion. Aber der dortige Auswähler sah es völlig richtig: Wenn der Jäger den Hund zum Jagen tragen muss, dann wird das nichts….Das ganze Setting dieses Treffen erinnert mich an jene Masse von Vertretergesellschaften, Gläubigen der heiligen der letzten Tage. Geschimmert wurde wie eine Fatah Morgana in der Wüste, eine Stadt voller Wohlstand und weisse Rolls Royces (Baghwan, Alter, ik hör dir trapsen) und dann sass da in einem schmalen Gang im Hotel neben dem Konzerthaus ein junger Mann an einem schmalen Tisch und hatte jede halbe Stunde ein Treffen mit einem der neuen Telefongesellschaftsaquistöre. Die Differenz zwischen dem Weltunternehmen und dieser Vertreterwelt war so groß, dass ich, als ich nach Hause kam, Adam ein gepfeffertes Mail voller Beobachtungen schickte. Es kam keine Antwort. Dabei hatte er mich die Wochen vorher heftigst umworben und als ich vor dem Treffen schon zugesagt hatte, begrüßte er mich glücklich im Team und briefte mich fast täglich. Doch das Treffen war zu ernüchternd, die weltweite Konkurrenz von Telekomhaien war täglich in den Zeitungen zu lesen und dann baute diese Firmenphilosophie darauf auf, dass hier eine Zukunftsrente erwirtschaftet werde, die sicher und stabil ist. Die amerikanischen Kartenhäuser der Zukunftssicherheit der Altersfonds krachten erst danach zusammen. Witzigerweise träumte ich dann in jener Nacht danach, dass Adams Lebensgefährtin sagte“ Ich brauch kein Handy“. Dies war sozusagen die weibliche Antwort auf Adams neuen Weg zum Reichtum.
Er war jemand, der die Welt aufrollen konnte, der Tag und Nacht schuften konnte und als Millionär enden konnte. Bei ihm fiel mir immer die Geschichte ein, die mir meine Geliebte erzählte, wenn sie von ihrem ersten Ehemann sprach. Eine neapolitanische Geschichte: Ein reicher Mann kommt an den Strand von Neapel und spricht mit einem armen Mann, der am Strand liegt und sich sonnt. „Was hängst Du hier so rum, Du kannst Dir nichts leisten. Du musst es wie ich machen. Arbeite, schufte, verdiene Geld, dann kannst Du dir was leisten“. Der Mann am Strand schaute blöd, so sah es der Reiche und sagte frech, so empfand es der Reiche „Für was soll ich das tun?“. Der Reiche war empört. Hatte dieser Dummkopf es nicht verstanden, wie sollte es mit diesem Land jemals vorwärts gehen. Seinen Ärger runterschluckend sagte er „Dann kannst Du dir was leisten, du kannst in den Ferien wegfahren, kannst in Ferien fahren, am Strand im Sand liegen und glücklich sein“. „Aber mein Freund“, entgegnete der andere, „das mache ich doch – ich sitze am Strand, freue mich und lass den lieben Gott einen guten Mann sein“. Das musste er natürlich sagen, weil in Süditalien der liebe Gott noch ein Mann ist, meistens ein strenger, aber manchmal auch ein weiser, gütiger.
Als wir schon in Italien wohnten, bot er mir wieder an, jetzt den italienischen Telekommunikationsmarkt aufzurollen. Ich schwieg vornehm.
Zu gerne hätte er in den Hochzeiten der Börsenspekulation die Millionen gemacht und ich weiss nicht, ob es bei ihm die fehlenden Mittel oder das fehlende Wissen war, die das Zocken verhinderten. Aber Zocken war zu jener Zeit die Voraussetzung für die Multigewinne, die in den Neunzigern durchaus zu erzielen waren. Er begriff, dass es da noch Clevere als ihn gab, Millionär werden, ohne wie ein Arsch schuften zu müssen.
Vielleicht lag es daran, dass er sich als feige einstufte. Vielleicht war es aber gar keine Selbsterkenntnis, sondern nur eine kleine Notlüge, um mir beizustehen. Denn einmal wollte ich ihm und seiner Gruppe beistehen. Die Psychogruppe hatte den Koch verärgert- das kam öfters vor. Wir hatten mit unserer WG einmal für big Mama in ihrem Schloss in Frankreich gekocht, nicht nur für sie und ihren Sohn, der im Schloss Golf spielte, sondern auch für circa 200 ihrer Anhänger. Sehr schnell lässt der von der Psyche malträtierte sein Unbehagen am Tun der Köche ab – und Adam hatte mich angerufen und gefragt, ob ich einspringen könne und wolle. Ja sagte ich und wollte zu ihnen ins Elsass fahren. Doch auf dem Bahnhof stieg ich in den falschen Zug – er fuhr nicht nach Basel, sondern nach Zell. Als ich das feststellte, sprang ich mitsamt meiner Tasche aus dem Zug, kam blöd auf (in den Spielfilmen rollen die Abspringer sich immer ab) und brach mir meinen linken Arm. Um mich zu trösten, sagte dann Adam, dass das doch sehr mutig gewesen sei und er, naja, das sagte ich ja schon, eher feige. Ich war damals der Meinung, dass es besser gewesen wäre, beim nächsten Halt auszusteigen und die Fahrtrichtung auf traditionelle Weiße zu ändern.
Naja, Sie sehen, wir haben allerhand miteinander erlebt. Als er auf seine Uhr schaute, erbleichte er und sagte, scheiße, jetzt fliegt mein Flieger davon. Gab mir die Hand, sagte ein tiefes „Tschau“ und rannte davon. Von ferne rief er mir noch zu: „wir schauen dann bei euch in Apulien vorbei, demnächst“.
Doch Tage später rief er aus den Staaten an und sagte, sein Herzblatt habe ihm bedeutet, dass sie keine Hitze vertrage, seit jenem Tag als sie eine Hirnhautentzündung hatte. Er müsse leider absagen, aber es würde ihn schon interessieren, wie wir zwischen Bang und Olufsen, Olivenbäumen und dem Meer so lebten.
Neulich schrieb mir ein Freund ein Mail. Sie hatten sich am Vierwaldstättersee getroffen und von alten Zeiten geschwärmt. Doch er fügte, ein wenig resigniert an „die Wege sind halt doch arg auseinander gegangen“. Von Telefonen sei jetzt nicht mehr die Rede. Jetzt sei bei Adam Aloe Vera modern. Auf der Website von Adam steht:
Auf den folgenden Webseiten finden Sie viele Informationen über ein schöneres Leben und die Freiheit, Ihre unbegrenzten Möglichkeiten zu entdecken. Forever livings Products. Daneben sind vier Plastikkanister abgebildet. Ich weiss, es ist nicht das Ende der Geschichte und so wie Adam und seine Gefährtin all der Jahre der alten Tante Espede die Treue gehalten haben, während ich meiner Jugendliebe Greeni schon nach zehn Jahren die Treue aufkündete, so werden sie sicher auch den Zeiten und ihrem Zeitgeist treu bleiben und wir werden noch manches erstaunliche verkünden können. Aber, ich will es zum Schluss schon noch mal sagen: es gehört schon verdammt viel Chuzpe dazu, vier Plastikkanister abzubilden und zu verkünden, dass dahinter das schönere Leben steckt und die Freiheit, ihre unbegrenzten Möglichkeiten zu entdecken. Danke Adam – das war es wert.
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