DEB by Dagmar Perinelli

Reise nach Bad Säckingen

15. August bis 17. August 2011

Auf Gleis Drei stand der Regionalzug bereit. Ein teilweise zweistöckiger Zug. Ein junges Mädchen saß ihm schräg auf der erhöhten Plattform gegenüber. Sie telephonierte. Sie wechselte vom tiefsten Dialekt – war es rheinfelderisch? – in einen fremdsprachigen Singsang. War es türkisch? Schon auf seiner letzten Reise hatte er im Zug von Ulm nach Illertissen die Mehrsprachigkeit junger türkischer Frauen bewundert. Die konnten mitten im Satz von Hochdeutsch auf Türkisch wechseln, konnten damit auch Zuhörer auf Distanz halten, Nähe und Ferne frei bestimmen. Die Leichtigkeit, mit der diese jungen Frauen die Sprachebenen wechselten, gefielen ihm – um ihre Integration, ihren Werdegang hatte er keine Sorge.
In Rheinfelden standen Vater und Mutter am Bahnsteig und holten die Tochter ab.

Noch wenige Stationen – dann war der Bahnhof Stein-Säckingen erreicht. Wenn es je ein Taxi hier gegeben hatte, um Mitternacht an einem Montag war jedenfalls keines da. So wanderte Emilio wieder den alten Weg, den er vor vielen Jahren gegangen war, als er im SBB-Bahnhof in Basel beim Postverlad arbeitete. Der Wag war ausgeschildert, er wich ein wenig von seinem früheren Weg ab, führte aber durchs Dorf.
Seitdem es eine neue Brücke gab, war die alte Holzbrücke für den Autoverkehr gesperrt. So wurde aus einer viel befahrenen Strasse eine gewöhnliche Wohnstraße. Geschäfte hatte es dort nicht mehr. Auch das Kino war verschwunden, und Emilio fand damit die Antwort auf eine Frage an Uschi vor einem Jahr.
Für die Anwohner mag es beruhigend sein, ohne Durchgangsverkehr. Aber das Alte hatte auch etwas. Der Usego-Laden, direkt neben der Brücke, wo es Kaffee und Nudeln gab, und natürlich auch unsere wunderbare Schweizer Schokolade. Die Kneipe am Rhein mit ihrer wunderschönen Terrasse mit Blick auf den Rhein und Bad Säckingen.

Hotel Rheinglück
Beim Hotel Rheinglück

Das Hotel Rheinglück lag mitten im Stadtzentrum. Der Mann an der Rezeption begrüßte ihn. Emilio hatte im Internet gebucht. Nun wollte er die Telephonnummer vom Buchhändlerfreund Wilfried Diogenes aus Rheinfelden.
„Ja“, sagte der Rezeptionist, „Diogenes, den Buchhändler von Rheinfelden. Den kenne ich, ich wohne auch in Herten. Da, da hab ich ihn, über Facebook“, sagte er nach einem längeren Blick auf seinen PC-Bildschirm und schreib Emilio die Nummer auf.
"Danke."
„Gern geschehen."

Die Badische Zeitung darf er mitnehmen – morgen früh gibt es wieder eine neue. Noch ein Bier aus der Minibar, ein Blick über den Rhein auf die Holzbrücke und das Schweizer Rheinufer und dann Gute Nacht.

Am Morgen Frühstück im Hotel. Eine Masse von Angebot am Frühstücksbuffet. Leider von nicht so berauschender Qualität. Der Kaffee schlecht, die Brötchen nicht vom Füdlibäck, der Orangensaft nicht frisch gepresst. Nach dem Frühstück im Hotel wird er sich ein Croissant holen beim Füdlibäck und im Eiscafé Stromboli dazu einen Cappuccino genießen.
Immerhin sind zwei Tageszeitungen da: der Konstanzer Südkurier und die Freiburger Badische Zeitung, beide mit Säckinger Lokalteil. Am Nebentisch eine Reisegruppe, drei Ehepaare, ungefähr in seinem Alter. Der Sprache nach kommen sie wohl aus Israel. Sie grüßen freundlich, nehmen ihn als Deutschlesenden war.
„Das ist aber mutig“, denkt er und meint damit, als Jude in Deutschland im Hotel zu frühstücken. Ein seltsamer Gedanke, es ist nicht 1921 oder 1931, sondern 2011. Doch der Gedanke ist da, er soll nicht zensiert werden.
Am nächsten Morgen ist die Gruppe nicht mehr da. Schade, er hatte den  hebräischen Ton gemocht.

Noch einmal geht er zu seinem Grundstück an der Königsberger Straße, welches für ihn die Friedrichstraße ist, dort, wo er aufgewachsen ist. Das Haus seiner Kindheit und Jugend steht noch immer da, fast unverändert, soweit es sein Vater gebaut hatte, 1952. Noch immer fehlen die ein, zwei Meter an den Seiten des Hauses. Ein, zwei Meter, die der Vater dem Haus auf dem Plan abschnitt, weil das Geld knapp wurde. Noch Jahrzehnte später verfluchte ihn dafür Emilios Mutter. Aus schönen, großen Zimmern wurden kleine Zimmer.
Doch einen Geldscheißer hatte auch sie nicht. Sauber war dies nur gewesen, weil es Lakra-Gelder gab, für zwei Wohnungen für Flüchtlinge aus dem Osten.

Frau Vosskuhl am Fenster
Frau Vosskuhl am Fenster

Im hinteren Garten, der Wiese, holte Emilio für sich und seinen Bruder eine Handvoll Nüsse. Die letzten eigenen. In ein paar Stunden wird das Grundstück jemand anderem gehören.
‚Die werden dann den wild gewachsenen Nussbaum fällen, weil sie sonst kein Platz für ihren Hausbau haben.‘
Zwetschgen hatte er schon lange keine mehr von den Bäumen gepflückt. Sie waren immer problematische Bäume gewesen, oft mit großem Wurmbefall der Früchte. Sie wurden allerdings auch seit Jahrzehnten nicht mehr gepflegt, nicht mehr beschnitten. Umso schöner war es, eine Schüssel voller Zwetschgen zu ernten und damit einen Zwetschgenkuchen zu backen und mit Sahne zu verspeisen.

Die Mieterin Vosskuhl freute sich wieder über seinen Besuch. Nun trank er den Kaffee, den er beim letzten Besuch nicht getrunken hatte, obwohl sie ihm einen angeboten hatte. Noch einmal bietet er ihr an, Nüsse zu ernten, noch – bis heute Mittag vierzehn Uhr – ist er der Eigentümer. Wieder wird sie nicht zugreifen, die Kirschen in Nachbars Garten sind süßer und die Nüsse in Emilios Garten liegen zu tief.

Rheinbrückstrasse
In der Rheinbrückstrasse

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