DEB by Dagmar Perinelli

Herbstreise ins Dreyeckland – heuer ohne Elsass

Sonntag 24. Oktober 2010 bis Freitag 29. Oktober 2010

Ich fahre den Wandersmann (Zimmermann auf Wanderschaft) im schwarzen Kordanzug bis zum Tinguely-Museum. Die Töpferin hat geschlossen. Schade. Eine junge Frau fährt mir rückwärts ins Auto, aber es ist nichts passiert. Allein am Bayeler und am Tinguely vorbeizufahren, ist schon ein gutes Gefühl. Zum Reingehen reicht es nicht. Die Messe ist voll – es ist Herbstmesse. Der Geruch von Maroni liegt in der Erinnerung, bis ins offene Autofenster dringt er nicht. Zuhause werde ich am Kamin dann wieder welche machen. Den Maronimann treffe ich einen Tag später in der Hochhauspassage.
"Maroni-Man", sage ich, als er vorbeigeht. Er dreht sich um
"Ja, Dieter? Ach, wir werden alle nicht jünger!"
Er verdealt jetzt alte Antiquitäten, Reliquien. Vielleicht finde ich ja was in Süditalien. Im letzten Heft von Lettre International wird über seine Zunft berichtet.

In Weil kaufe ich bei Hiebe zuerst Haftcreme für Gebisse. Ein älterer Mann sieht mich an und die Haftcreme, bleckt die Zähne, schön wie ein Gebiss und lacht mich an.
"Gehen sie vor."
"Ein Schwuler", denke ich und bin noch heute befangen über diesen Gedanken.
Ein wirklich schöner Mann. Auf dem Band seine Einkäufe. Ein paar schöne Produkte für ein schönes Essen.

Mir fällt noch ein, dass ich eine bestimmte Gesichtscreme brauche.
"Ach, mir ist noch was eingefallen."
Doch sie haben es nicht. Ich komme zurück und er schaut mich fragend an. Zeige ihm den Zettel und sagte:
"Sie haben es nicht."
Auf dem Zettel steht Margret Astor Gesichtscreme. Warte hinter ihm und er sagt:
"Na, gehen Sie schon vor."
Auf dem Band liegen auch zwei Päckchen Himbeeren. Ich greife mir eines und frage:
"Wo gibt es jetzt denn Himbeeren?"
Aber ich finde die Herkunftsangabe nicht. Er fragt die Kassiererin. Doch die antwortet:
"Weiß ich nicht, da müssen Sie an der Gemüsetheke fragen."
Er liest das Etikett und sagt "Produced in Italia."
Welch schöne Begegnung.

Ich fahre weiter in die Innenstadt, kaufe bei Frau Resin eine Apulienlandkarte.
"Was zahlen Sie freiwillig?", fragt sie verschmitzt. Ich sage:
"Acht fünfzig" (soviel wie auf der Karte steht).
"Sehen Sie demnächst den Fritz?" frage ich. Sie greift zum Telefon und ruft die Sekretärin an.
"Isch mien kleine Brueder do?" fragt sie. "Solli Fritz, do isch jemand ganz Wichtiges."
Sie lacht über beide Ohren, während Fritz und ich kurz plauschen. Er erzählt von seiner Chinareise.
"Do werd ii jederziet wider hihgoh" und "Nächschtes Johr kömme mir dann ja widder nach Apullie."
"Jo, Spaß muess emol sie", sagt sie erfreut, und es geht weiter zu Optik Sütterlin.

"Hier ist ja ein Optiker nach dem anderen"; sage ich.
"Ja, früher waren es sogar noch mehr, da waren es acht"; sagt der Optikermeister. Der Kratzer auf meiner Brille lässt sich leider nicht wegmachen, aber er kann neue Ohrbügel anbringen und die Schrauben festziehen.
"Und Sie, sind Sie länger do?"
"Nein, am Donnerstag geht es wieder heim. Up up and away."
"Machen Sie es gut."

Im Tabakladen sagt die Verkäuferin auf die Frage, welcher der Pfeifenreiniger besser sei:
"Ich rauche leider nicht Pfeife", und bei Photo-Porst macht der Chef von der Photokarte eine CD und DVD – so können wir auch bewegte Bilder sehen.

Abends gibt es dann von Ingrid wunderbare Zwiebelwaie mit Nüsslisalat und eine wirklich gute Kürbissuppe. Nur das Vanilleeis ist nicht selbst gemacht und auch nicht besonders gut.

Dienstag ist Photo-Tag. Die Begegnungen werden protokolliert, zwölf Lörracher Miniaturen werden daraus entstehen als Postkarten.

Frisör Lars Holfelder findet noch einen Termin und erzählt voller Enthusiasmus von seinem Hochzeitsfest. Jeder Gang wurde in einem anderen Restaurant eingenommen, der Linienbus brachte die Gäste von einem Restaurant zum anderen, darunter auch das Wasserschloss in Inzlingen, und am Ende zelebrierten alle Köche dieser Restaurants das gemeinsam erstellte Dessert.

Renate Marx ist beeindruckt von der provisorischen Realschule, auf der ihre Tochter ist. Benny Benndorf berichtet davon, dass sein
Hausboot in Kaschmir abgesoffen ist.
"Döt isch halt immer Krieg."
Karlheinz Breuer ist hocherfreut, mich zu sehen, und berichtet von seinem Engagement in Sachen Städtebau. Doch findet sein Eintreten für altes, erhaltenswertes Bauwerk nicht die offenen Ohren der Oberbürgermeisterin, so wie er es sich wünscht. So schreibt er denn Leserbriefe, und so mancher habe ihn schon gefragt, ob er denn keine Angst habe.
Auf dem Marktplatz kaufe ich beim Metzger Bieg wunderbare Leberwurst und finde nebenan einheimische Himbeeren aus Kirchzarten. Der Camembert aus dem Wiesental geht mir irgendwo verloren, vielleicht ist er mir im Müller-Markt davongerollt, als mir die Plastiktüte riss, vielleicht stibitzte mir ein Kunde in Klaus Trögers Antiquariat ‚aus zweiter Hand‘ den Käse, während ich den Bediener dazu brachte, die Schellackschallplatte aufzulegen und damit den Dekorationsplattenspieler in den Adelsstand des Plattenspielers erhob.

Abends gutes Fleisch, gebraten von Moritz, allerdings über den richtigen roten Punkt gegart.

Lesung in der Rheinfelder Buchhandlung Merkel
Lesung des Vaters des Hunkelers, Herr Schneider,
in der Rheinfelder Buchhandlung Merkel

Zur Lesung des Vaters des Hunkelers in Rheinfelden komme ich zu spät, aber die Freude, besonders von Patricia, ist groß und herzlich, und mit Wilfried sitze ich danach noch beim Primitivo beim Italiener zusammen, auch wenn das Viertel recht klein ausfällt. Das nächste Mal werden wir die Halbliterkaraffe aus Italien bestellen. Begeistert erzählt er von seiner neuen japanischen Lebensgefährtin.

"Goethe sagt, gegen die Vorzüge eines anderen hilft nur, dass man sie liebt."
Peter Handke im Gespräch mit Ulrich Greiner, DIE ZEIT LITERATUR, Nr. 48. November 2010

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