Herbstreise ins Dreyeckland – heuer ohne Elsass
Sonntag 24. Oktober 2010 bis Freitag 29. Oktober 2010
Als sie ihre Buchhandlung 1991 verkaufen wollte, hatte ich mich mal interessiert gezeigt. Am Telefon fragte sie erfreut:
"Gert – sind Sie’s?!
Doch ich war’s, nicht ihr Kunde Gert, sondern Dieter. Da wurde sie zickig und sagte:
"Ja, ins gemachte Bett legen, das ist einfach."
Ich schrieb ihr dann, dass ich seit Jahren eine eigene Buchhandlung in Lörrach habe und dass ich es ihr auch zu verdanken habe, dass ich diese gegründet habe. Schließlich fand sie am äußersten unfein, dass ich das KURSBUCH und den Roten Kalender haben wollte. Ich besorgte es mir dann, wie auch die Voltaire-Flugschriften in Berlin, wie all die anderen rebellischen Papiere. Malcolm X. per Post.
So, die Treppe hoch.
"Dort in Stein ist links ein schönes Café", sagt Ruth.
"Ja und dort habe ich im Usego-Laden immer Kaffee gekauft. Und dort auf der Terrasse in der Sonne habe ich Kaffee getrunken oder Entrecote gegessen."
"Gibt’s das kleine Kino noch?"
"Das wissen wir nicht."
"Und hier, da habe ich morgens um sechs die Brötchen direkt aus der Backstube geholt, als ich in Basel bei der Post beim SBB arbeitete."
"Und hier war mein Sozialistisches Zentrum."
"Wissen wir doch", fällt Ruth ein.
"Und danach die Galerie der Freien Gruppe Hochrhein mit meinem damaligen Freund Peter Strauss."
Dann kommt eine Kneipe nach der anderen. Ein Haus ist noch da, so vergammelt, wie es 1974 war.
"Da hatte ich meinen Buchladen und meine Teestube und ganz oben da wohnte ich."
"Und da war die Eisdiele und nebenan der Sexshop."
Da konnten wir von gegenüber beobachten, wie Männer reingingen, verstohlen blickten sie nach rechts und nach links, ob auch niemand sie gesehen hätte, dann schwupp hinein.
Und dort war der Friseur Lebèvre.
"Da habe ich mir 1975 die Haare hellrot färben lassen. Da war ich der Schwarm der Schwulen."
Im Cafe trinken wir noch etwas. Uschi holt noch ihren Hund dazu, und der Bad Säckinger Nachmittag geht zu Ende.
"Schau Dir doch mal Säckingen an, wie es sich verändert hat", sagte in den Neunzigern immer meiner Mutter zu mir, doch ich mochte nicht. Es interessierte mich nicht. Ich wollte das alte zerfallende Säckingen meiner Kindertage behalten, die Fischergasse, in der wir am
Fastnachtsdonnerstag eine Wurst und ein Wecken geschenkt bekamen, ich brauchte keine geschleckte Stadt, mir reichte ein wunderbares Bürlevom Füdlibäck, wie mein Bruder seinen Klassenkameraden nannte, dazu ein Fleischsalat in der Metzgerei von Irenes Eltern.
Der Schöpfebach war jeden Tag farbig, jeden Tag eine andere Farbe und sie kam von einem der großen Arbeitgeber der Stadt – Engel.
City of Engels.
Damals stinkig.
Die Stadt mit ihrem historischen Zentrum ist schön geworden, vielleicht ein wenig zu schön, wer weiß? Ohne die Massen an Touristen, Kurgäste und ähnlichen Wesen war es an jenem 27. Oktober sehr angenehm, durch die Strassen der kleinen Trompeterstadt zu gehen.
Für den Bergsee hat es nicht mehr gereicht, so konnte ich auch nicht das Haseltal sehen, wo gerade die Energiekonzerne wieder Speicherbecken planen. Der Widerstand dagegen kenne ich aus der Wochenzeitung DIE ZEIT. Und doch ist es, als wäre es gestern, 1975, GEHO, Bürgerinitiative.
Ich weiß noch eine Aktion in Gebisbach. Wirtschaftsminister Eberle ist zum Essen dort. Jahre später feiern wir den Geburtstag meiner Mutter dort. Wir wollen demonstrieren. Nur, was machen wir mit dem linksradikalen, langhaarigen Baumert? Betätigungsverbot gibt es nicht, denn das Sozialistische Büro, in dem ich tätig bin, hat im Beirat auch Pfarrer Helmut Gollwitzer, und der wandert jahraus, jahrein zusammen
mit den Ehefrauen und Bundespräsident Gustav Heinemann durch den Hotzenwald.
Also hilft nur verkleiden, und so verkleide ich mich als Wandersmann.
Ob mich der Wirtschaftsminister gesehen hat? Eher nicht, denn ich kam zu spät. Aber wir lachten alle, auch Meister Bornemann, der Jahre später im norddeutschen Museum zelebrierte.
In Wallbach klingeln um 18 Uhr die Kirchenglocken und es ist schön so. Aber Marco Schwarz geht nicht ans Telefon, und so wird auch diese Reise eine Reise ohne Wiedersehen mit Marco.
Nachtrag 2012:
Im Dezember 2011 verstarb Uschi Gabele-Griesser in Bad Säckingen.